Überarbeitete Fassung einer Gesprächs-Runde mit Herbert Fitzek, Sven Giebel und Armin Schulte am 22. Juni 2022 an der BSP in Berlin.
Giebel: Schön, dass wir uns hier heute zusammenfinden, lieber Armin Schulte und lieber Herbert Fitzek. Ich darf sie herzlich begrüßen zu einem Gespräch anlässlich des beeindruckenden 40jährigen Jubiläums der Zeitschrift für Morphologische Psychologie Zwischenschritte. Ich möchte sie im Verlauf dieses Gesprächs bitten, dass wir rückblickend in die Geschichte der Zwischenschritte eintreten, dass wir ausblicken in die Zukunft und auch den aktuellen Status Quo der Zwischenschritte beleuchten. Ich darf Sie zu Beginn bitten, dass sie uns ein bisschen an ihren persönlichen Eindrücken hinsichtlich des Jubiläums teilhaben lassen. Und uns erzählen, wie es sich mit der Zeitschrift entwickelt hat, so dass wir einen Rückblick, aber auch zugleich eine Wiedergeburtsaussicht wagen dürfen. Was fällt Ihnen denn spontan dazu ein?
Fitzek: Mir fällt spontan ein, dass man, wenn Zeitschriften noch erfolgreich laufen, mit Stolz und Zufriedenheit auf ununterbrochenes Erscheinen zurückblicken kann. Das gilt für die Zwischenschritte für einen langen Zeitraum dieser 40 Jahre, und darauf können wir und viele andere Mitwirkende auch wirklich stolz sein, aber das Jubiläum wäre doch ein wenig traurig, wenn über 10 Jahre nichts mehr erschienen ist und keiner weiß, was wird. Das ist für mich das Besondere, dass es pünktlich zum Jubiläum weitergeht und wir jetzt auf die digitale Variante der Zwischenschritte gespannt sein dürfen.
Schulte: Ja, ich denke, das können wir, und es wäre doch wohl ebenfalls etwas schade, wenn dem nicht so wäre. Die Zwischenschritte werden – nach zweimaliger Verschiebung des Termins – nun am 25. November im Rahmen des nächsten ‚Tages der Kulturpsychologie‘ an der BSP mit 16 Beiträgen online gehen. Insgesamt haben wir so an die 30 Artikel, die mehr oder weniger fertig sind, und wenn man das auf die früheren Print-Ausgaben mit durchschnittlich fünf Artikeln rechnen würde, dann hätten wir mit den vorliegenden 30 Beiträgen ja schon wieder drei Jahrgänge soweit beisammen – und das sollte einen recht zuversichtlich stimmen. Und wir hoffen natürlich, dass viele Schreibbereite sich ab November angeregt fühlen, sich mit weiteren Beiträgen an diesem Projekt zu beteiligen.
Die allererste Ausgabe der Zwischenschritte erschien ja am 9. Juli 1982, bis 1999 regelmäßig in halbjährlichem Turnus, und 2011 gab es dann schließlich das letzte Heft. Ab 2010 wurde die drohende Publikations-Lücke jedoch erfreulicherweise durch eine neue Zeitschrift – ,,anders“ – auch gleich wieder geschlossen, aber wie man hört, soll es Ende 2022 der letzte Ausgabe von „anders“, was ich zwar schade fände, jedoch ginge es dann ja mit den Zwischenschritten weiter bzw. wieder los. Mitte 1981 hatten wir angefangen, ein solches Projekt vorzubereiten und anzuschieben, und dann hat es ein Jahr gebraucht, bis die erste Ausgabe dann auch erschien. Wieso Zwischenschritte 2011 unterbrochen – so kann man es ja jetzt formulieren (damals: eingestellt) – wurde(n) und wie es im letzten Jahr dazu kam, dass sich das Ganze jetzt erneut in einer anderen Version, nämlich als online-Fassung, wiederbelebt und weiterentwickelt, das wären drei zeitliche Markierungen, die wir uns gleich sicherlich noch etwas ausführlicher anschauen werden.
Giebel: Das sind auch Fragerichtungen, die ich vorbereitet habe. Nachdem wir nun in einem ersten kleinen Spotlight zurück, aber auch kurz nach vorne geblickt haben, darf ich auf eine 40jährige Geschichte der Zwischenschritte hinweisen. Und ich darf mit Stolz erwähnen, dass diese Geschichte gleichzeitig 40 Jahre Geschichte der Morphologischen Psychologie bedeutet, die sich seinerzeit an der Universität zu Köln entwickelte. Wir haben noch Zeit, um uns über das Hier und Jetzt zu unterhalten, doch unsere geneigten Leser sind auch sehr an der Entwicklungsgeschichte dieser Zeitschrift interessiert, immerhin ist die Morphologische Psychologie eine Entwicklungsmethodik und deswegen würde ich gerne ganz zurück an den Anfang gehen zur Gründungs- und Entwicklungsgeschichte. Wie ist es dazu gekommen, dass diese Zeitschrift, damals also die Idee einer morphologischen Zeitschrift, sich an der Universität zu Köln überhaupt entwickelt hat? Und wir sind natürlich auch an den kleinen Anekdötchen interessiert, denn eine Gründung verläuft nicht immer ganz reibungslos, sondern viele Räder müssen zusammen- und ineinandergreifen – wie war das denn damals so mit der Gründung der Zeitschrift Zwischenschritte?
Fitzek: Vielleicht darf ich mit dem Anekdotischen ganz kurz anfangen: Ich bin ja zu Beginn der Zwischenschritte nicht in der Redaktion gewesen und deshalb ist es selbstverständlich, jetzt etwas von Herrn Schulte zu hören, und doch ist es witzig, dass ich zufällig dabei war, als zum ersten Mal von den Zwischenschritten die Rede war. Ich kann zwar sagen, ich war von Anfang an dabei, aber zuerst mal als stiller Zuhörer, und so viel kann ich gleich vorwegnehmen: Es gab zwei Studentengruppen, die Herr Salber in sein Büro eingeladen hatte: Die eine, die von Herrn Schulte, hatte sich vorgenommen, vom Plan einer neuen Zeitschrift zu berichten, und die andere, meine, saß völlig unvorbereitet und staunend daneben. 5 Jahre später war ich dann mit von der Partie und wusste, wie es losgegangen ist.
Schulte: Also, um diese Situation, die Du gerade ansprichst, kurz zu erläutern: Es handelte sich dabei ein Gespräch mit Wilhelm Salber, das wir Anfang 1982 anberaumt hatten. Absicht und Ziel dieses Treffens sollte sein, ihm erstmalig dieses Projekt bzw. unsere Absicht, ein solches Projekt zu starten, vorzustellen und um mal zu hören, was Salber von einem solchen Unterfangen hielt.
Giebel: Wer sind denn ‚wir‘?
Schulte: Die Redaktion ‚in spe‘ bestand aus vier Studierenden der Psychologie an der Uni Köln, alle nach absolviertem Vordiplom, denen eine sich verstärkende ‚Affinität‘ zur Morphologischen Psychologie gemein war und die diese ‚Zuneigung‘ weiter ausbauen wollten: Anita Orlovius, Volker Bautzmann und Peter Daniel und ich. Das war sozusagen die Ur-Redaktion, die das ganze Unternehmen auf die Schiene gebracht hat. Man müsste jetzt im Impressum nachgucken, wann da der erste Wechsel stattfand oder wer wann dazu stieß. Herbert hat ja schon angedeutet, dass er erst fünf Jahre später Mitglied der Redaktion wurde. Aber er war bei der Vorstellung der angedachten Zeitschrift Wilhelm Salber gegenüber – wie es der Zufall wollte – ja bereits anwesend.
Giebel: Das müssen wir aber jetzt genau wissen, haben sie sich da heimlich hineingeschlichen?
Fitzek: Ganz so war es nicht. Es kam selten vor, dass Salber Studierende für Forschungsprojekte suchte, aber nach unserem Vordiplom fragte er im Mittelseminar plötzlich nach Interessierten, die bei der Kunstforschung aktiv mitwirken wollten. Das war für uns eine große Ehre und es bildeten sich spontan zwei Studentengruppen, von denen die eine Kunstwerke von Spencer, die andere Kunstwerke von Turner untersuchte. Wir gingen mit Salber ins Museum und konnten ihm über die Schulter schauen, wenn er Leute interviewte, und machten Zwischenbesprechungen im psychologischen Institut, wohin er die Gruppen dann zum gleichen Termin einlud. Unsere Gruppe referierte pflichtbewusst zu den Turner-Bildern, und Schulte legte den Plan für die Zwischenschritte vor. Von der Spencer-Untersuchung weiß ich bis heute nicht, was rausgekommen ist.
Schulte: (Da müsste ich auch noch mal in den sicherlich nicht mehr vorhandenen Unterlagen nachschauen…) Die Idee, für eine bestimmte psychologische Auffassung eine eigene Zeitschrift zu gründen, ist ja weder originell noch neu; das hat’s immer schon gegeben, ich habe letztens noch mal nachgelesen, dass die Psychoanalyse in den ersten Jahren ihrer Bewegung bereits drei oder vier Zeitschriften auf den Weg gebracht hat; also das war damals keine Idee, wo man sagen könnte, mein Gott, da muss man aber erst mal drauf kommen: Wir machen jetzt eine Zeitschrift. Mir wurde berichtet, dass es den Versuch, eine Zeitschrift für die Morphologie am Salber-Lehrstuhl einzurichten, auch schon davor – ich meine sogar: mehrfach – gegeben hat. Aber das war vor meiner Zeit und das Dilemma soll darin bestanden haben, dass diese Idee von Salber himself kam oder dass Salber ein solches Vorhaben auf die ihm eigene Art an sich gezogen, seine Mitarbeiter dann einberufen und angekündigt hat, dass man seitens des Instituts auch unbedingt mal ‘ne Zeitschrift gründen müsse. Er hat dann wohl ebenfalls gleich umrissen, um was es bei dieser Publikation gehen soll und alsbald erste Themen an seiner Mitarbeiter verteilt und dementsprechende Artikel in Auftrag gegeben. Und so ist dann natürlich daraus nie was geworden. Es gab wohl, wie mir die Kollegen später erzählten, mehrere Anläufe, aber da Salber auch ein solches Projekt in seiner Art dominiert hatte und den Leuten am liebsten in die Feder diktiert hätte, was sie schreiben sollten, blieb ein solches Ansinnen zunächst unvollendet. Du hast doch auch mal ein Buch zusammen mit ihm geschrieben!?
Fitzek: Ja, ich habe ein Buch und zwei Aufsätze mit ihm geschrieben.
Schulte: Hat er dich schreiben lassen oder hat er dir gesagt, was du schreiben sollst?
Fitzek: Das war viel gemeinschaftlicher, als man es sich denken würde. Natürlich hatte er für manches einen Plan, aber gerade die Texte kamen größtenteils von mir, und interessanterweise hat er mich besonders dort korrigiert, wo ich etwas zu kompliziert aufgebaut oder formuliert hatte. Das hat dazu beigetragen, dass diese Arbeiten verhältnismäßig leicht zu lesen sind. Da habe ich viel gelernt, und gerade den leichteren Zugang hat er mir beibringen können, bei seinen eigenen Büchern gelang ihm das nicht.
Giebel: Das denkt man erst mal gar nicht, wenn man die frühen Salber-Werke kennt, dass die Komplexität herausgenommen wird. Aber noch mal zur Gründungsgeschichte: Es hat sich also aus einer studentischen Initiative entwickelt?
Schulte: Weil eben vorher die Befürchtung überwog, wenn wir das jetzt als Instituts-Projekt machen, dann wird Salber sich dauernd einmischen, Vorgaben machen und uns bevormunden – und das wollen wir uns nicht unbedingt bieten lassen. Dann ist das auf eine sanfte, unauffällige Art sozusagen wieder entschlafen. Und sogar Kollege Werner Seifert hat mir damals – ich war ja auch noch Student – mal gesagt, er fände unser Vorhaben sehr gut und es wäre als eine studentische Initiative wohl auch die einzige Möglichkeit mit Aussicht auf Umsetzung gewesen.
Fitzek: Wenn Sie mal reingucken in die ersten Hefte, da gibt es keinen Salber. Das war schlicht so, dass er zwar in diesem Gespräch sehr aufmerksam hingehört hat und auch sehr positiv reagiert hat, sich aber insgeheim gedacht haben wird, daraus wird eh nix! Als nun aber etwas daraus wurde und er merkte, dass es nicht irgendetwas war, sondern eine große Chance für die Morphologie, war es selbstverständlich für ihn, einzusteigen und mitzumischen. Und das hat er dann auch getan.
Schulte: Ja, nach drei Ausgaben, müsste man alles mal nachgucken, war Salber wohl einigermaßen zuversichtlich, dass das Ganze ‚Hand&Fuß‘ hat – und v.a. nicht sofort wieder eingestellt wird –, und er hat uns – nach dem Reprint eines Leserbriefs als Replik auf einen Artikel von Dieter E. Zimmer in Die Zeit – einen ersten Artikel über ‚Seelen-Filme‘ (2/1983) anvertraut und gleich im nächsten Heft (1/84) „Deiner Thaten schwarzes Bild“ – einen Vortrag, den er auf einem Graphologen-Kongress an der Uni (Köln) gehalten hat. Die Zeitschrift hatte sich mittlerweile ja auch schon – allein vom Äußeren her – recht ansehnlich entwickelt. Und für ihn und seine rege Publikations-Tätigkeit war ja der Umstand, eine morphologische Zeitschrift gewissermaßen ‚im Hause‘ zu haben, recht bequem und angenehm, denn all die Jahre davor hatte er in verschiedensten Zeitschriften veröffentlicht, und es war sicherlich immer auch mit einem gewissen Aufwand verbunden, seine Sachen dort unterzubringen. Und ab 1984 konnte er mir das, was er gerade an Artikeln – und später dann auch an Büchern – geschrieben hatte, einfach in die Hand drücken, und das kam dann in der nächsten Ausgabe der Zwischenschritte. (Ich kann mich noch erinnern, dass wir alle zugegebenermaßen recht stolz waren, als Salber zum ersten Mal in seiner Vorlesung ausdrücklich auf die Zwischenschritte hinwies.)
Giebel: Diese Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften finden sich heute in den Varia Bänden zusammengestellt, und Salber hat dann nach den ersten drei Ausgaben die Chance ergriffen, auch unter dem Label Zwischenschritte zu veröffentlichen? Wie darf ich mir das denn vorstellen? Die Gründer sitzen im geheimen Kämmerlein und suchen Mitgestalter, die dann Artikel schreiben? Oder wurde konkret Werbung unter den Studierenden gemacht oder Aufrufe gestartet, dass Artikel geschrieben werden sollen? Wie kamen die Autoren zustande?
Schulte: Darf ich das gleich berichten? Ich erzähle – wenn’s recht ist – erst man was über die Stunde der ‚Befruchtung‘ und dann – nach knapp einjähriger Vorbereitungszeit – etwas über die Geburtsstunde der Zwischenschritte am 9. Juli 1982, denn an diesem Tag kam das erste Heft aus der Druckerei. Wir – die vier aus der Redaktion – kamen zusammen, packten die angelieferten Kartons aus – hier, das ist das erste Heft –, versahen für jeden von uns jeweils ein Heft mit einem Spruch plus Autogramm und waren recht angetan von dem ‚gemeinsamen Werk‘ (Redaktion und Autoren), das da auf dem Tisch lag. (Wahrscheinlich gab es auch ein Fläschchen Sekt.)
Giebel: Wie hoch war die Auflage?
Schulte: Die war von Beginn an schon relativ hoch und für eine Fachzeitschrift mit 500er Auflage durchaus ansehnlich.
Giebel: Und diese Ausgaben wurden dann primär an der Hochschule verteilt?
Schulte: Ja, auch dazu kann ich gleich was sagen. Zuvor aber doch noch ein paar Anmerkungen zu der Situation, in der die Idee der Zwischenschritte ihren Anfang nahm – also die Augenblicke der ‚Fertilisation‘ der Zeitschrift, von wo aus das dann alles seinen Weg nahm und die Zwischenschritte sich entwickelt haben. Das muss so Anfang 1981 in einem Seminar von Frau Bresgen-Bönner – eine Assistentin von Eno Beuchelt, einem Professor am Undeutsch-Lehrstuhl –, der somit durchaus eine bedeutsame Funktion in der Historie der Morphologie zukommt. Beuchelt war eigentlich von Haus aus Völkerpsychologe, aber man hatte ihm damals mit Blick auf die Verteilung von Prüfungen auch die Pädagogische Psychologie zugewiesen, so dass er hier Lehrveranstaltungen anbieten musste. Und da ich damals noch vorhatte, nach vorab absolviertem Lehre-Studium später einmal Schulpsychologe zu werden, saß ich dann ‚notgedrungen‘ in einer Veranstaltung in Pädagogischer Psychologie bei Frau Bresgen-Bönner. Unvergesslich. Die (Veranstaltung) fand nun immer Montags unten in den Räumen des Psychologischen Instituts, Lehrstuhl I (Udo Undeutsch) auf der zweiten Etage statt. Vorher nahm ich im dritten Stock am ‚Mittel-Seminar‘ unter der Leitung bei W. Salber teil, und da dort in aller Regel konsequent ‚gemorphelt‘ wurde – für mich noch immer als morphologischer Novize mit allen Aufs und Abs – war das Hinunter von der dritten in die zweite Etage ein Abstieg aus den berauschende Höhen der Morphologie hinab in die Niederungen des Mainstreams – einerseits zwar erleichtert, dass ich dies erbauliche Teil-Quälerei im Hörsaal 369 nun hinter sich lassen konnte, andererseits jedoch stellte sich gleichzeitig im Seminar zum Thema ‚Psychologie des Lernens‘ auch ein gewisser Neid ein, weil man sich das Ganze seiner psychologischen Bemühungen deutlich anders und v.a. erlebtermaßen sehr viel einfacher machen konnte. Dieser Neid mischte sich allerding immer recht zügig mit einer gewissen Unruhe, die dann des Öfteren auch in einen zunehmenden Ärger übergehen konnte.
In dieser besagten Sitzung ging es im Rahmen des ‚Lernens am Modell‘ (Bandura) um das ‚Streiten‘ und um die Frage, was einen ‚Streit‘ ausmacht bzw. wo und wie man es überhaupt ‚lernt‘, (sich) zu streiten. Seltsamerweise verlief die Diskussion zu diesem Thema recht angeregt, jedoch sehr beschaulich und harmonisch. Die anwesenden Kommilitoninnen – ich war der einzig männliche Student, zudem als wohl einziger morphologisch orientiert – plauderten angeregt über Affenbabys und Fell-Mütter, berichteten über eigene Alltags-Erfahrungen in Sachen ‚Streiten‘, dessen Umstände, Hintergründe und mutmaßliches Herkommen usf. – das alles jedoch in einer für mich herzzerreißend-rührend-naiven Weise bis es mir schließlich zu viel wurde und es aus mir herausplatzte, dass man Psychologie wohl kaum auf eine so unbeschwert-unbedachte Weise betreiben könne. „Also Leute, so einfach kann man es sich nun wirklich nicht machen.“
Augenblicklich trat Stille ein. Alle Damen schauten mich irritiert-verwundert-interessiert an – bis zu diesem Moment hatte ich den Sitzungen durchweg schweigend beigewohnt – und Frau Bresgen-Bönner frage mich schließlich (wohl im Anschluss an Überlegungen wie ‚Was haben wir denn jetzt?‘ ‚Wer ist das denn?‘ ‚Und was will der?‘), wie ich denn wohl anders an die Sache herangehen würde und was ich zum Thema ‚Lernen‘ und ‚Streiten‘ anzumerken hätte:
‚Sagen Sie uns, wenn Sie sagen ‚So nicht!‘, dann doch bitte auch ‚Wie denn dann!‘
Nun war es an mir, erst mal zu verstummen. Und das Einzige, was mir nach einer peinlichen Pause einfiel, war der allgemeine Hinweis, dass man das zunächst mal untersuchen müsste.
‚Aber dazu gibt es doch bereits ganz viele Studien.‘
‚Ich meine ‚morphologisch‘ untersuchen. Sprich: Beschreiben. Sich erst mal die Phänomene anschauen.‘
‚Gut, aber dann gibt es zum ‚Lernen‘ und zum ‚Sich-Streiten‘ doch bestimmt auch morphologische Untersuchungen …‘
‚Das mag sein, aber das weiß ich nicht.‘ … usf. … Irgendwann gab Bresgen-Bönner es dann auch auf, von mir eine weiterführende Erläuterung zu bekommen und wandte sich wieder den anderen Anwesend(inn)en zu.
Das bzw. ein Dilemma, in das ich damals unvorhergesehen hineingeraten war, bestand darin, dass das Studium der Morphologischen Psychologie weitestgehend auf mündlichen Überlieferungen und verbalen Unterrichtungen basierte. Neben einer überschaubaren Handvoll Büchern und Morphologischen Dissertationen, die in einer abgelegenen Ecke der Bibliothek ein kaum beachtetes Dasein fristeten, gab es zwar die bis dato veröffentlichten Artikel und Bücher von Wilhelm Salber, deren Lektüre sich jedoch gerade – wenn auch nicht nur – für einen Anfänger wie mich vor gewisse Probleme stellte und einer recht aufwändigen und erst mit den Jahren machbaren Exegese bedurften. Und so kam ich auf der Suche nach verwertbaren Literaturen für Fälle wie gerade geschildert auf die Idee, mich doch einmal bei den morphologischen Vordiplom- und Diplomarbeiten umzuschauen, von denen es nach all den Jahren doch wohl eine große Anzahl geben musste.
Und die gab es in der Tat – sorgfältig aufbewahrt in mehreren (verschlossenen) Stahlschränken auf dem Flur des Instituts im 3. Stock –, allerdings blieben meine Versuche, mir einmal die eine oder andere Arbeit anschauen zu können (evtl. gab es da ja sogar was zum Thema ‚Streiten‘), trotz mehrfacher Anfragen bei diversen Dozenten unerfüllt, bis ich schließlich auf die Idee kam, dass es ja auch im Prüfungsbüro (2. Stock), Exemplare sämtlicher Arbeiten geben musste. Nichts wie hin. Die Dame, die ich dortselbst antraf, war freundlich – und verwundert, da ich wohl der erste Mensch war, der sich im Laufe ihrer langjährigen Tätigkeit im Prüfungsamt nach diesen Arbeiten erkundigte – und händigte mir umgehend einen Karteikasten aus, in dem sämtliche (Vor-)Diplomarbeiten verzeichnet waren. Ich ging die allesamt mal durch, fragte nach, ob man die Arbeiten denn auch ausleihen konnte (konnte man) und nahm mir gleich 10 Arbeiten mit, deren Thema mich spontan interessierte.
(Hier noch bestens in Erinnerung ist die Vor-Diplom-Arbeit von Rolf Dellen, ein ‚Experiment‘ zum Thema ‚Arbeitsgruppe zur Prüfungs-Vorbereitung‘. Drei eingeweihte Studenten schwenkten bei der Besprechung eines prüfungs-relevanten Textes auf einmal – wie vorher von Dellen instruiert – um und behaupteten nun unisono das Gegenteil von dem, was man vorher zu viert erarbeitet hatte. Und die drei Eingeweihten amüsierten sich – ebenfalls vereinbart – köstlich darüber, dass der ahnungslose Vierte [Karl] zunehmend fassungslos am Tisch saß und buchstäblich die Welt nicht mehr verstand. Und im Protokoll des Gesprächsverlaufs in Dellens Arbeit hieß es dazu dann lapidar: „Alle lachen [außer Karl].“)
Aber ‚to make a long story short‘: Wie man sich vielleicht schon denken kann, reifte im Umfeld dieser Aktion als bald der Entschluss, in Sachen Publikation (lesbar-zugänglichen) Morphologischen Schrifttums für Abhilfe zu sorgen, erste Gespräche mit bereits erwähnten Kommilitonen führten zur Bildung einer Redaktion und nach einjähriger Vorbereitung erschien im Juli 82 dann die 1. Ausgabe der Zwischenschritte.
Wichtig an diesem Punkt zu erwähnen, ist, dass wir alle vier jenseits bester Absichten, prinzipiellem Interesse sowie ein paar vagen Vorstellungen, keinerlei Ahnung davon hatten, was es dafür braucht, eine (psychologische Fach-)Zeitschrift zunächst überhaupt auf die Beine zu stellen und dann zu betreiben. Wir haben uns da auch nicht erst einmal monatelang schlau gemacht, sondern reichlich unbekümmert losgelegt, wobei uns allerdings ein paar glückliche Umstände bzw. Zufälle zu Hilfe kamen:
Meine damalige Freundin Anita konnte dank ihrer langjährigen Tätigkeit – vor dem Studium – als Sekretärin bei der Witwe von Carl Diem …
Fitzek: … dem Gründer der Sporthochschule Köln…, die sehr publikationsfreudig war, sehr gut 10-fingrig tippen (die Manuskripte der Artikel kamen – man mag es sich kaum vorstellen – auf Papier und mussten erst einmal erfasst werden), Volker konnte zwar nur mit zwei Fingern, war aber sehr bereitwillig und hat diese Manuskripte dann mit Anita in eine Linotype-Fotosatz-Anlage eingegeben (Zufall 1: ein ehemaliger Kollege eines Mitbewohners in meiner damaligen WG hatte sich mit einem solchen Gerät selbständig gemacht, besorgte mittlerweile den Fotosatz für mehrere Verlage und stellte uns diese Anlage zum Selbstkostenpreis zur Verfügung – also fuhren wir dorthin und Anita und Volker tippten alle Texte vor Ort in die Maschine, in der diese dann belichtet wurden) und (Zufall 2) war Mieter in einem Haus, dessen Vermieter Inhaber einer kleinen Druckerei war, in die ich dann die Filme aus dem Fotosatz brachte, auf dass hin ich auch in den kommenden Jahren – nach drei Druckerei-Wechseln – für die Produktion der Zwischenschritte (Grafik/Layout, Druck und Bindung) zuständig war(d).
Und so kam es, dass gleich die erste Ausgabe professionell im Offset-Druck und mit Stichheftung (ab zwotem Heft sogar bereits mit einer Klebebindung) erschien – und nicht (wie wir es zu Beginn eigentlich vorhatten) als zusammengetackerte Fotokopien. Peter Daniel – der vierte im Bunde – schließlich übernahm von Beginn an die ‚Distribution‘ und entwickelte sich alsbald als hinreichend kundig in Sachen Vertrieb, Abonnenten, Verwaltung, Rechnungsstellung, Zahlungseingänge u.a.m. Alle für ein solches Projekt wichtigen Funktionen waren also verteilt, gut untergebracht bzw. konnten sich im Laufe der Jahre weiterentwickeln.
Giebel: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Idee, sozusagen aus der empirischen Forschung heraus, Artikel zu veröffentlichen, die dann für andere zugänglich sind?
Schulte: Ja, also da war der Ausgangspunkt: ‚Streiten‘ – bitte mal was aus morphologischer Perspektive. – Und ich musste zugeben ‚Da ist mir nichts bekannt.‘ – Und so kam die Idee auf, dafür Sorge zu tragen, dass man künftig bei einer solchen Gelegenheit auf etwas morphologisch Fundiertes würde verweisen können. ‚Der Rest ist Geschichte.‘
Fitzek: Tatsache ist, dass sich die Zwischenschritte, auch wenn das Äußere immer wieder gewechselt wurde und sich erst allmählich eine differenzierte Binnengliederung entwickelt hat, vom ersten Heft an von gleichbleibender Qualität war und mit knapp 100 Seiten auch gleich ein stattliches Werk.
Schulte: Ein vergleichbar glücklicher Zu-Fall diesseits der Herstellung einer Zeitschrift zeigte sich darin, dass wir gleich ab der 1. Ausgabe genügend Artikel – eben als ‚Beiträge‘ – hatten, die man dann auch publizieren konnte. Etwa die Hälfte wurde uns im Laufe des Vorbereitungs-Jahres eingereicht, die anderen wie etwa der Artikel von A. Wuttke, W. Leiker oder W. Domke basierten auf Vorstellungen studentischerseits im ‚Mittelseminar‘. Ab 1981 saß ich in dieser wie auch bei anderen Veranstaltungen oder Gelegenheiten immer mit ‚offenen Augen und Ohren‘, ob man aus dem, was da gerade vorgestellt oder vorgetragen wurde, nicht auch einen Artikel für die Zwischenschritte machen könnte. Ich habe die Betreffenden dann angesprochen und bin ihnen dann manchmal so lange ‚auf den Keks gegangen‘, bis sie daraus einen Artikel gemacht hatten, den wir dann in unserer wöchentlich stattfindenden Redaktionssitzung besprachen und ggfs. so lange mit den Autor(in)en weiterentwickelten, bis man den Beitrag publizieren konnte. Das ging manchmal – z.B. bei schreiberfahrenen Kollegen wie beispielsweise Christoph Melchers sehr zügig und ohne Aufwand unsererseits, bei einigen anderen Autoren bzw. Artikeln brauchte es jedoch eine gewisse Zeit (Rekord, glaube ich, war mal über ein Jahr) und mehrere Fassungen, bis es schließlich so weit war.
Ein schönes Beispiel für dieses ‚Auf-den-Keks-Gehen‘ meinerseits war der ‚kleine Gregor‘, ein Fall, den ebenfalls besagter Rolf Dellen – mittlerweile ein Mitarbeiter am Salber-Institut – mal in einem Beschreibungs-Seminar, an dem ich teilnahm, vorgestellt hatte: Der ‚kleine Gregor‘ wird zuhause auf einem Bauernhof von einem Trecker überrollt, schwer verletzt und kommt ins Krankenhaus. Hier wird er nach allen Regeln ärztlichen Könnens ‚erfolgreich‘ operiert, aber danach liegt es in seinem Bettchen, rührt sich nicht, ist auch nicht ansprechbar und versetzt seinen behandelnden Arzt (da kein Koma o.ä. vorliegt) seinerseits in eine schmerzliche Ratlosigkeit. Was kann man (noch) tun? Der Arzt zieht schließlich den ihm bekannten Dellen als Psychologen hinzu, der setzt sich erst einmal zum Gregor ans Bett und überlegt, welche Möglichkeiten ihm denn als Psychologe zur Verfügung stehen. Seine Überlegung schließlich: Erst mal Beschreiben!… Nach dieser Seminarsitzung habe ich Dellen dann angesprochen, um ihm klarzumachen, dass er daraus unbedingt einen Artikel für Zwischenschritte machen müsste. Und Dellen war zunächst ein wenig zögerlich, aber ich habe nicht locker oder los gelassen und nach mehrmaligem Drängen und ‚Ermahnen‘ ist dann schließlich ein ganz toller, ungemein berührender Artikel draus geworden (s. Ausgabe 1/84). Ich habe meine Aufgabe bei den Zwischenschritten immer auch im Wesentlichen darin gesehen, die Leute – vornehmlich die Autor(inn)en – ‚ans Arbeiten zu bringen‘ und hartnäckig zu sein.
Über einen Mangel an Artikeln konnte wir uns also – zumal, wenn man die ‚ganze‘ Wirklichkeit, so wie ich mit angewöhnte, auf ihre Artikel-Potentialität hin durchscannte – die ganzen Jahre über nie beklagen – ein Umstand, der mich damals zwar weniger, heutzutage aber im Nachhinein dennoch umso mehr erstaunt. Aber da die Morphologen – außer Salber selber – die ganzen Jahre über so gut wie keine Möglichkeit zur Publikation hatten und da ihre Beiträge von anderen Zeitschriften in aller Regel abgelehnt wurden – Yizhak Ahren erzählte mir mal, er habe all seine Ablehnungs-Bescheide in einer speziellen Schublade gesammelt – ist ein solches Zustandekommen von Artikel nicht weiter verwunderlich. Ab 1983 schlug mir Salber – nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Zwischenschritte funktionierten – sogar vor, am Oberseminar C, in dem die laufenden (morphologischen) Diplom-Arbeiten vorgestellt und ‚behandelt‘ wurden, teilzunehmen – soweit war ich selbst ja noch lange nicht –, und ich habe dann auch von da aus, Themen und Leute, die mir für einen Artikel in Frage kommend erschienen, angesprochen und oftmals ist ja auch ein Beitrag aus den Diplom-Arbeiten entstanden.
Giebel: Ich möchte gerne bei den beiden genannten Personen, auch zwei zentrale Figuren der Morphologischen Psychologie, nochmal nachhaken. Waren denn Herr Melchers und Herr Domke selber noch Studierende zu dem Zeitpunkt der Gründung?
Schulte: Wolfram Domke studierte damals noch, Melchers war (schon länger) Assistent am Salber-Lehrstuhl, also einer meiner damaligen Dozenten. „Über das richtige und falsche Selig werden in der Kunst“ (gleich in 1/82) war wohl Wolframs erste Publikation, Melchers – und seine Kollegen Rolf Dellen, Norbert Endres, Friedrich Heubach, Werner Wagner, Werner Seifert (später dann u.a. Dirk Blothner, Ralf Debus) waren diesbezüglich schon weit erfahrener, aber auch sie hatten wohl ob ihres ‚Morphologen-Seins‘ in der ‚scientific community‘ ebenfalls mit diversen Vorbehalten zu kämpfen und entweder kaum veröffentlicht oder ähnliche Erfahrungen wie Y. Ahren machen müssen. So und insofern sich auch die Mitarbeiter am Institut fortan ohne größeren Aufwand an uns wenden, um wie z.B. Melchers einen – bzw. zwei – Artikel zum Thema ‚Parfüm‘ anzukündigen, die auf einer morphologischen Untersuchung basierten, welche er gerade in einer seiner Veranstaltungen durchführte.
Giebel: Ich darf mir das also so vorstellen, dass sich die Idee einer morphologischen Zeitschrift auch im Universitätsalltag zunächst durch Mund-zu-Mund-Propaganda als integraler Bestandteil durchgesetzt hat?
Schulte: Plus einer Hand-zu-Hand-Weitergabe, denn die ersten Ausgaben haben wir – bzw. ein paar Kommilitonen, die uns von Beginn an unterstützt haben – in den Veranstaltungen an der Uni verkauft, indem die mit den Kartons durch die Hörsäle gezogen sind, später dann auch durch Kölner Buchhandlungen, und wir hatten auch recht schnell eine stattliche Anzahl an Abonnenten. Ja, das lief so die ganzen Jahre über. Erst ab 1999, da brach das mit den Artikeln doch merklich ein (Salber war ja 1993 emeritiert worden, dann kam Groeben, und die bisherigen Verhältnisse veränderten sich spürbar) und das war dann ein wesentlicher Grund dafür, die Zwischenschritte so langsam ausklingen zu lassen. Darauf können wir auch später noch mal zu sprechen kommen. Aber die ganzen Jahre dazwischen über lief dieses Projekt trotz der vielen Arbeit und mancher Krisen aufgrund (s)einer immanenten Dynamik und einer ‚In-sich-Stimmigkeit‘ gewissermaßen von selber ‚rund‘ – und das wundert mich auch eigentlich immer noch, wenn ich mir das Gesamt-Verzeichnis der Zwischenschritte anschaue, bei der Einrichtung der ‚Morphothek‘ oder aktuell bei den Vorbereitungen zur Online-Ausgabe, dann stehe ich manchmal davor und sage mir: ‚Mein Gott, wie wir das hingekriegt haben, ist mir nach wie vor rätselhaft.‘
Fitzek: Es gibt natürlich Schwankungen in all den Jahren, aber die Artikel hatten, wie gesagt, von Anfang an Niveau, und das ist die ganze Zeit über so geblieben.
Schulte: Und das ist auch das, was mich nach wie vor beeindruckt. Denn bei aller Gegenwarts-Bezogenheit, sind sehr viele Artikel ja in gewisser Weise ‚zeitlos‘. Es ist ja nicht so, dass man sagen müsste, die sind jetzt etwa vor 30 Jahren erschienen und man kann sie jenseits eines kultur-geschichtlichen Interesses vergessen. Wir hatten letztens noch mal im Modul ‚Kulturpsychologie‘ ein Referat über die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und zu diesem Thema gibt es ja einen Melchers-Artikel von vor fast 40 Jahren (2/83). Und das ist im Prinzip von der Grundstruktur her doch sehr gleich bzw. vergleichbar geblieben. Und auch die Konsequenzen, die man heutzutage für die Gestaltung des ÖPNV aus dieser Untersuchung ziehen könnte, sind hoch-aktuell. Also liebe Verkehrsbetriebe: So schaut‘s aus, wenn man in der Bahn sitzt.
Giebel: Die morphologischen Untersuchungen, die in den Zwischenschritten dargestellt sind, haben eine universelle Gültigkeit. Entsprechend ist es für sowohl den Nachwuchs, die Studierenden der ‚Business & Law School‘, als auch für die gestandenen Morpholog(inn)en immer wieder ganz spannend, in diese Artikel hineinzuschauen, weil sie sehr tagesaktuell sind. Bevor wir aber in das Hier und Jetzt blicken, bleiben wir bitte noch einen Moment im Damals und Vergangenen. Welchen Stellenwert hatte denn eigentlich die Morphologische Psychologie an der Universität zu Köln damals? Und wie hat die Zeitschrift auch dazu beigetragen, dass Studierende begeistert und aufgerufen wurden, sich für diesen wissenschaftstheoretischen Ansatz zu interessieren?
Fitzek: Was man eindeutig sagen kann, ist dies: In den 80er Jahren war die Morphologie in Köln ‚weltberühmt‘. Das heißt also, vor Ort war sie der Inbegriff dessen, was man in der Psychologie erreichen konnte, obwohl es dort gleichzeitig Strömungen gab, die national und international viel stärker anerkannt wurden. Das interessierte aber die Studierenden nicht; die gingen dorthin, wo es alltagsnah, bildhaft, spannend war, wo man spüren konnte, diese Psychologie hat mit mir selbst zu tun. In Köln ordneten sich 3/4 der Studierenden der Morphologie zu, und selbst die anderen haben immer betont, dass sie bei Salber gelernt haben, Psychologie praktisch einzusetzen. Das war auch schon vor den Zwischenschritten so, aber mit den Zwischenschritten fand gerade das Lebenstaugliche an der Morphologie einen klaren Nachweis. Im ersten Heft ging es ganz konkret um Parfum, um ‚Fahrrad, Clogs und Latzhosen‘, um den mehr oder weniger seligen Umgang mit dem Papst und mit Kunstwerken, um Märchen in der Psychologie und das Bild von Psychologie in der Öffentlichkeit. Davon träumten andere nur, die sich mit Wahrnehmungsversuchen und Rattenexperimenten herumquälten, und das gab der Glaubwürdigkeit der Morphologie enormen Auftrieb. Diese Jahre, die 80er und frühen 90er Jahre, das war schon so die Blütezeit an der Hochschule. Die Studentenzahlen wuchsen, vor allen Dingen kriegten die interessierten Leute jetzt auch eine Chance, sich im Schreiben und Argumentieren zu üben, aus denen sind tatsächlich auch die Leute geworden, die die Morphologie an Akademien und Instituten geprägt haben. Der Move der Zwischenschritte hat wirklich viel bewegt.
Schulte: Auch Autoren wie z.B. Stephan Grünewald, seit einiger Zeit uns allem bekannt aus Funk&Fernsehen, hatte seine ersten Veröffentlichungen in den Zwischenschritten – man könnte ‚unsere‘ Autoren jetzt alle mal durchgehen. Andere haben nur einmal einen sehr ‚schönen‘ Artikel geschrieben wie etwa Elfi Porz-Selke über das Putzen im Haushalt (ein Klassiker). Aber man hat sich dann aus den Augen verloren. Ich habe danach nie mehr was von ihr gelesen. Insofern weiß man nicht, was aus ihr geworden ist. D.h. so manche(r) haben das Schreiben zwar nicht erst in den Zwischenschritten gelernt, aber über lange Jahre für die Zwischenschritte geschrieben und ihre Veröffentlichungen – durchaus auch mit Unterstützung und dem zunehmenden Know-How der Redaktion – weiterentwickelt. Viele konnten schreiben, da sie wie z.B. Melchers schon einige Beiträge in ‚Horizont‘ oder ‚Planung&Analyse‘ (beides jedoch keine psychologischen Fachzeitschriften!) publiziert hatten. Denen mussten wir also jetzt nichts mehr beibringen und deren Artikel haben wir im Prinzip auch so wie eingereicht übernommen und wenn überhaupt, vielleicht mal etwas gekürzt oder ein paar Kleinigkeiten zur Änderung vorgeschlagen. Aber ein anderes Extrem waren – wie bereits erwähnt – Artikel, die auch im Nachhinein gut und mit Gewinn zu lesen sind, an denen wir aber gemeinsam mit den Autoren manchmal sogar über ein Jahr gearbeitet haben. Das war aber eher die Ausnahme.
Fitzek: Ich würde das gerne um einen Punkt ergänzen. Vielleicht wollten Sie auch noch danach fragen. Aber so schön es war, dass die Zwischenschritte den Morphologen selbst enormen Auftrieb und auch Ansporn gegeben haben. Die damit verbundene Idee, wir publizieren das erst mal, dann liest es die Welt, und die wird begeistert sein, gehört zu den Zwischenschritte von Anfang an dazu. Und diese Idee hat sich kein bisschen verwirklicht. Das Projekt war zwar wichtig für das Selbstverständnis der Redaktion (und auch das der Leserinnen und Leser), aber passiert ist nie etwas in diese Richtung. Und insofern muss man sagen, die Morphologie hat sich von einer Fiktion einer Öffnung genährt, die nach innen wichtig, nach außen unwirksam war. Das war bei der Psychoanalyse ganz anders, mit der sich manche Morphologen gern verglichen, die gleichfalls von Anfang an nicht wissenschaftlich akzeptiert worden ist, aber wenigstens wahrgenommen, diskutiert und verbreitet wurde.
Schulte: Ja, aber wir hatten mit den Print-Ausgaben recht zügig eine für Fachzeitschriften durchaus bemerkenswerte Auflage: 1. Heft 600, nach zwei, drei Jahren dann 1000 bis die Höhe dann ab dem Wechsel zum Psychosozial-Verlag (2000) zum ‚print on demand‘ wurde.
Fitzek: Von den 1000 wurden aber 999 von Morphologen gekauft.
Schulte: Das war wohl so, hatte aber auch damit zu tun, dass sich die Morphologie damals zu Zeiten des Instituts im Wesentlichen auf einen Wirk(ungs)-Radius beschränkte, der davon geprägt war, dass W. Salber sich auf diesen Resonanzraum mit der ‚Haedenkamp-Straße‘ (später umbenannt in ‚Herbert-Lewin-Straße‘) im Zentrum zurückgezogen hatte und der jetzt durch die Zwischenschritte auch noch mal insofern ge- oder befestigt wurde, weil er ab 1983 auch mit seinen Veröffentlichungen nicht mehr in die Welt ziehen musste, sondern das er alles im dritten Stock abwickeln konnte, indem er mir die Manuskripte überreichte. Das war insofern also sogar noch mal ein weiterer Grenzstein in der Umrahmung der Morphologie, weil dadurch eben der Wirkungskreis weiter reduziert wurde, indem die Zwischenschritte – mit der alsbald durchaus stattlichen Anzahl von 500 Abonnenten – hauptsächlich an die Uni verkauft haben. Wir haben zwar ab 83/84 recht mühsam und aufwändig durch persönliche Belieferungen versucht, die Zwischenschritte auch in Kölner Buchläden unterzubringen, aber die Zahl der hier verkauften Hefte war doch ziemlich überschaubar. Das Ganze (der Morphologie) erinnert immer auch ein wenig an die Fernsehserie „Unsere kleine Farm“.
Fitzek: Ich bin zu dieser Zeit in Köln durch die Buchläden gezogen und habe hier fünf Hefte und dort drei Hefte abgeliefert und gesehen, dass sie von den Studierenden auch wirklich gekauft wurden. Und gerade deshalb gern gekauft wurden, weil Morphologie nun plötzlich öffentlich gehandelt wurde … und im öffentlichen Buchhandel von Morphologen an Morphologen verkauft wurden. Darauf ist keiner stolz, aber das gehört zur Geschichte einfach mit dazu. Auch Salber hat sich in seinen Ansprachen an Studierende (Morphologen) immer an die Öffentlichkeit gerichtet und hat zeitlebens betont, wie wichtig es ist, sich allgemeinverständlich auszudrücken, was ihm in Vorlesungen übrigens sehr viel besser gelang als in Büchern. Was Publikationen angeht, waren die Zwischenschritte wiederum in Puncto ‚Verständlichkeit‘ im Vorteil: Denn in den Heften äußerten sich wechselnde Autoren auf unterschiedlichem Sach- und Sprachniveau zu ganz konkreten Themen.
Giebel: Was hat denn eigentlich so eine erste Ausgabe damals überhaupt gekostet? 85 Seiten prall gefüllte Seiten mit spannenden Artikeln und vier ambitionierten Redaktionsmitgliedern; wurde denn der Selbstkostenpreis gedeckt?
Schulte: Die erste Ausgabe kostete 6,- DM. Wir Vier hatten jede(r) DM 600,- als Vorfinanzierung in einen Topf getan, und ich habe, meine ich, Jahre später noch mal 2000 DM zugeschossen, aber ansonsten haben sich die Zwischenschritte selbst getragen. Und – man lese und staune – ohne dass wir das jemals mal durchkalkuliert haben. Das muss man sich mal vorstellen: Es hat bei den Zwischenschritten (bis heute!) nie eine Kalkulation oder irgendeine Berechnung gegeben. Vielleicht hat Peter Daniel heimlich des Nachts da mal was durchgerechnet, ansonsten verwaltete er die Konto-Auszüge, hat die Zahlungs-Eingänge überprüft und – es gab, soweit ich mich erinnern kann, nie Mahnungen – Geld an den Satz (nach HDG hat das lange Jahre Wilhelm Schäfer [dann schon auf einem Apple] besorgt), an die Druckerei und an die Buchbinderei überwiesen. Und da wir immer genug Geld auf dem Konto hatten, um Umschläge und Briefmarken kaufen zu können, hat mich das ganze Finanzielle auch nie interessiert. Wir hatten für 1-2 Jahren mal einen Kommilitonen, der neben Psychologie auch BWL studierte, und der hat dann mal die Steuererklärung von Peter Daniel übernommen – wir waren ja auch ‚gemeinnützig‘ –, aber sonst? Geld? Kam zwar nicht aus der Steckdose, aber vom Postkonto. Solange der Laden läuft! Das Thema ‚Morphologie & Marketing‘ bzw. überhaupt ‚Sich-Verkaufen‘ ist dies- oder jenseits der Morphologischen Institute (geschäftsmäßig – wie übrigens auch die Hochschulgruppe um die BSP herum [Dank an Ilona Renken-Olthoff!] – ja überaus erfolgreich) oder bei den einzelnen selbständigen Morphologie-Unternehmenden ohnehin ein weiteres, eher sehr dunkles Kapitel. Wir hatten immer mal wieder vor, ein paar Merchandising-Produkte (Tassen, T-Shirts, Bettwäsche oder Auto-Aufkleber) auf den Markt zu bringen, diese Idee wurde aber nie ernsthaft verfolgt. (Insofern ist der Vorwurf, die Morphologie sei eine Sekte, auch spätestens in pekuniärer Hinsicht völliger Blödsinn. Selbst Salber besaß meines Wissens auch keinen Rolls Royes wie Bagwan, sondern fuhr damals mit einem Subaru herum – immerhin mit 4-Rad-Antrieb.) Also operierten wir in diesen Jahren – auf gut Kölsch gesagt – redlich, aber bescheiden mit ‚no cash in de Täsch‘. Stattdessen warten wir auch jetzt wieder immer noch darauf, dass Google, Meta oder Apple uns für ein paar Milliarden übernimmt. Aber das kommt demnächst vielleicht ja dank online … – Den Anfang-Preis von 6 DM haben wir dann schrittweise – wie sich das für Zwischenschritte auch gehört – nach Gefühl und grober Einschätzung erhöht. Auf zum Schluss irgendwas mit 18 glaube ich. (Das ist jetzt keine Koketterie!) Und bei den Ausgaben, die ab 2000 dann im Gießener Psychosozial-Verlag erschienen sind, waren das wohl erstmals kalkulierte Preise.
Ansonsten kann ich Deine Frage von eben zum Anlass nehmen, noch ein paar Punkte zu ergänzen. Wir waren zu viert, hatten war vom Zeitschriften-Machen keine Ahnung, aber wir hatten uns vorgenommen, Okay, wir machen das! Und wenn wir die erste Ausgabe fotokopieren und mit einem Schnellhefter zusammentackern, dann starten wir halt auf diese Weise und machen uns nicht erst mal drei Jahre lang schlau, wie man eine Fachzeitschrift auf die Schiene bringt. Meinen Antrieb habe ich eben geschildert, was die anderen da wollten, darüber muss man jetzt spekulieren. Die haben halt mitgemacht.
Und das Problem war nun nicht, eine hinreichende oder tragfähige Anzahl von Manuskripten für Artikel zu bekommen, und dass wir zu Beginn nicht erst mal am Kopierer gestanden haben, um 600 geheftete Hefte selbst durch die Maschine zu schicken, verdankt sich den beiden Zufällen, die es uns ermöglichten, bereits die erste Ausgabe recht ansehnlich im Fotosatz und per Offset-Druck hinzubekommen. Und ich denke, von da an haben wir uns mit jedem Heft immer einen (Zwischen-)Schritt weiterentwickelt: Klebebindung (ab 2. Ausgabe), Layout (über Jahre hinweg Papier-Layout, am Computer erst sehr viel später), spezielles Abbildungs-Konzept etc. Apropos ‚Fotosatz‘: Wie bereits erwähnt, hatte einer meiner damaligen WG-Mitbewohner – der Gerd – einen ehemaligen IT-Kollegen bei Mazda (‚Platz da für den Mazda!‘), der sich mittlerweile mit einem Fotosatz („H.D. Günther – Studio für Ästhetik-Fotosatz“) selbständig gemacht hatte und der auch Jahre zuvor schon mal eine etwas obskure Science-Fiction-Zeitschrift herausgegeben. Und so kam es, dass besagter Gerd mir, als ich in der WG von unserem Projekt erzählte, vorschlug, fahr‘ doch da mal hin, der kann Dir sicher ein paar Tipps geben.
Und so habe ich den H.D. Günther mal kontaktiert, d.h. ich bin da hingefahren und habe ihm von unserem Vorhaben erzählt. Sehr straighter Typ, ein wenig eigen oder genauer: ein bisschen seltsam. Fotosatz fand damals noch nicht am Computer statt, sondern auf einer sogenannten ‚Linotype‘-Fotosatz-Maschine. Die hatte eine Eingabe-Tastatur für die Manuskripte und während der Eingabe (HDG hatte sich auf Fachbücher mit einem sehr komplizierten Fußnoten-Apparat spezialisiert) trank HDG literweise Kirsch-Tee aus riesigen Tassen, rauchte Kette und hörte die ganze Zeit über Opern und dann wurde der gesetzte Text auf Fotopapier belichtet und in HDGs Badewanne entwickelt und gewässert. Und HDG stellte uns all diese Geräte zum Selbstkostenpreis zur Verfügung, allerdings mussten wir zunächst mal in seiner Wohnung alle Artikel (damals ja noch auf Papier) in die Maschine tippen. Das besorgten Volker Bautzmann und eben Anita Orlovius, weil die zehn Finger konnte. HDG hat dann die Texte in ‚Time New Roman‘ und zweispaltig gesetzt – ich saß die ganze Zeit daneben, hörte Opern und gab, wo erforderlich, nähere Erläuterungen. Dann wurde alle unsere Texte belichtet, entwickelt, gewässert und in die einzelnen Artikel geschnitten; und ich bin schließlich mit den Positiv-Filmen (Fotopapier) in die Druckerei gefahren, wo dann Negativ-Filme hergestellt und zu 16seitigen Bögen (‚seitenglatt‘) zusammengestellt wurden, die man dann auf Druckplatten umkopierte … Druck (später bei prima print, die uns dann bis einschließlich 1999-1 professionell und liebevoll begleiteten, auf ‚Heidelberger Druckmaschinen‘), Buchbinderei, abholen und schließlich die Auflage in handliche Kartons verpackt in die Wohnung zu Peter Daniel in der Berrenrather Str. (2. Stock) hochschleppen, von wo aus die Hefte dann verschickt wurden (vorher: eintüten, Rechnung beilegen, zuklammern [‚Büchersendung‘], mit einer Briefmarke versehen und zur Post bringen). Und das alles 2x im Jahr!
Giebel: Diese kleine, vierköpfige Redaktion, hat sich also nicht nur um die Artikel, sondern auch um die Bebilderung gekümmert? Und dann gehört da ja auch ein offizieller Rahmen dazu. Es gibt ein Impressum, es musste vermutlich ein Verein gegründet werden? Wie lief das ab?
Schulte: In den ersten Ausgaben gab es pro Artikel immer nur eine Abbildung (als ‚Frontispiz‘), und erst später, als wir auch weitere Abbildungen in die Artikel einbauten, haben ich und später dann zusammen mit Wolfram Domke, der mittlerweile auch in der Redaktion mit dabei war, für jedes Heft und jede einzelne Seite mit Schere und Pritt-Stift ein Papier-Layout bei mir zu Hause erstellt (wieder 2-3 Tage Arbeit), das ging dann in die Druckerei … (s.o.). Dass mit den Abbildungen – anfänglich aus Bildbänden für das Papier-Layout in verschiedenen Größen herauskopiert – wurde später dann von Signe Krichel mittlerweile am Computer zu einem ausdrücklichen Bild-Konzept weiterentwickelt und verfeinert – ein Konzept, das es so in dieser Form bei keiner anderen (psychologischen) Fach-Zeitschrift gibt, aber die Morphologie als eine Psychologie in Bildern arbeitet eben auch auf einer solchen Ebene neben der Text-Ebene mit Bildern – und auch das Layouten erreichte dann später in Kooperation dank dem Grafiker und Designer Thomas Malzkorn (s)eine beeindruckenden Höhepunkte (Hefte 1/96 bis 1/99). Wir beide saßen dann 2-3 Tage bis spät in die Nacht vor seinem Apple in der Südstadt und gestalteten die jeweils nächste Ausgabe – eine recht anstrengende, aber gleichzeitig ebenfalls ‚sehr schöne Arbeit‘, wie man damals gelungene Werke in der Kölner Südstadt-Szene zu bezeichnen pflegte.
Um dem ganzen Projekt einen gewissen Rückhalt zu geben, haben wir dann – was nicht ganz so erbaulich war – recht zügig einen gemeinnützigen Verein gegründet – den ‚Arbeitskreis Morphologische Psychologie‘ –, der als Herausgeber fungierte und dann später auch beim Börsenverein in Frankfurt als Verlag eingetragen war (und weitere Aufgaben – Sitzungsprotokolle, Buchhaltung, Jahresabrechnungen – mit sich brachte).
Giebel: Dann kann ich also herausheben, das Engagement rund um die Zeitschrift Zwischenschritte ist mehr als ein Hobby. Das ist eine tiefe Leidenschaft, die über Jahrzehnte Bestand hatte, eine Lebensaufgabe. So leidenschaftlich muss man sich einem Projekt erst mal widmen, dass so viele andere Beteiligte auch eine Chance haben, daran teilzuhaben.
Schulte: Ja, das war es wohl. Neben der gemeinsamen Arbeit, was das Redigieren der Artikel betraf, waren Anita und Volger in erster Linie mit der Eingabe – sprich: Abtippen – der Manuskripte beschäftigt, ich mit der Herstellung, und Peter Daniel entwickelte eine gewisse Besessenheit, die sich auf Abo-Verwaltung, Vertrieb, Rechnungsstellung und Zahlungseingänge richtete. Peter hatte fast seine ganze Wohnung dafür eingerichtet. Hier fanden bis zu seinem Ausstieg aus der Redaktion die mittwöchlichen Redaktionssitzungen statt und es gab ein Zimmer, das war wirklich randvoll mit einem PC und diversen Kästen und Kästchen, die Peter mit großer Inbrunst betrieb und verwaltete. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte es die Zwischenschritte nicht länger als ein halbes Jahr gegeben, denn ich hätte dafür kein Händchen gehabt, auch kein Gespür und erst recht keine Lust. In dieser erforderlichen Mischung und Verteilung waren wir Vier also die Ur-Redaktion. Später kamen dann andere in die Redaktion – Werner Mikus, Wolfram Domke, Signe Krichel, Axel Thomas, Michael Ley – das müsste man alles in den Impressums genauer nachlesen – schließlich dann auch Herbert Fitzek. Herbert behauptet(e) immer, wir hätten ihn lange warten lassen, aber daran kann ich mich gar nicht (mehr?) erinnern. Wir entwickelten uns also auch personell weiter – ganz nach dem Goetheschen Motto der Morphologie: ‚Gestaltenlehre ist Verwandlungslehre‘.
Fitzek: Da wurde es dann ja auch schwieriger, weil sich die Leidenschaften in der Redaktion nicht mehr verteilten, sondern sich plötzlich auf das gleiche Thema bezogen. Vorher war es leichter: Der eine war Vertrieb, der andere machte mehr ein Hobby daraus, und Armin Schulte war mit Sicherheit der psychologische ‚Kopf‘. Und Anita vielleicht die Freundin mit eigenen Interessen. Damit, dass andere psychologisch Interessierte einstiegen, deren Leidenschaft nicht nur die Zeitschrift war, sondern die Morphologie als Wissenschaft, wurde es eng. Da gab es in der Redaktion ernsthafte Krisen, heftige Auseinandersetzungen, die man eigentlich nur ertragen konnte, weil die Liebe zur Morphologie einen dort hielt, und infolgedessen wechselnde Besetzungen in der Redaktion. Das Ganze zentrierte sich nach wie vor um Armin Schulte herum, der immer die Hauptgestalt und der Reibungspunkt der Zwischenschritte blieb. Darum flammten Rivalitäten und sonstige Interessen auf, und insofern waren die Redaktionssitzungen in dieser Zeit zum Teil sehr muntere Veranstaltungen.
Schulte: Der erste, der ausgestiegen ist, war Volker Bautzmann und der erste, der dazu stieß, war der Werner Mikus, schon länger kein Student mehr, zwischenzeitlich sogar schon mal Assistent bei Salber, in dieser Funktion auch einer meiner Lehrer im Studium (ich habe ja erst 84 mein Diplom gemacht). Mikus‘ Vertrag ist dann irgendwann mal ausgelaufen, er hatte inzwischen eine Praxis auf der Luxemburger Straße eröffnet und sah nun aber, nachdem er aus dem Institut ausgeschieden war, die Redaktion der Zwischenschritte als neues Betätigungsfeld, auf dem er sich wieder ins Spiel bringen konnte – also eine Art Rückkehr, die ihm wohl auch gelegen kam, wobei ihn im Besonderen gereizt haben mag, als Mitglied der Zwischenschritte-Redaktion u.a. über die eingereichten Beiträge seiner ehemaligen Kollegen (einschließlich der Familie Salber!) befinden zu können.
Und in diesem Sinne hat Werner Mikus auch recht flink als eine Neuerung eingeführt, die jeweiligen Haupt-Artikel der Ausgaben im Inhaltsverzeichnis vorne mit einem Kurztext – 5-6 Zeilen (Worum geht es? Was erwartet einen?) als Ankündigung zu versehen. Einen solchen Text hat Mikus – erfahrener, wie er uns gegenüber nun ja auch war – als sinnvoll und ob der bestehenden qualitativen Unterschiede als notwendig erachtet – beides seinerseits sicher mit dem Hintergedanken, dass wir, und nicht die Autoren, diese Texte verfassen würden und damit die Möglichkeit hatten, die Artikel in mancherlei Hinsicht einzuordnen bzw. zu bewerten. Und um diese Vor-Texte haben wir dann – manchmal recht lange und heftig – gerungen. Es gab des Öfteren Dispute, die hauptsächlich zwischen Mikus und mir ausgefochten und seitens der anderen mit Geduld und gewissen Interesse wie bei einem Tennis-Match in ihrem Hin&Her verfolgt wurden.
Ich weiß noch genau, einmal ging es um einen Vortext für einen Artikel von einem Studenten namens Krämer-Nehring zu dem damals soeben erschienenen Buch von Tolkien, den fand Mikus nicht so toll und so hieß es dann im Vortext … „und Herr Krämer-Nehring versucht es auch“. Das war eine indirekte Kritik bzw. von Werner als eine solche gedacht. So und dann gab es einen ersten Text von W. Salber, für den sich selbstredend Werner Mikus als zuständig erklärte (was mir und den anderen nicht gänzlich unlieb war). Mikus schrieb also ein oder zwei Vortexte für Salber-Artikel, die Salber auch erstmals im gedruckten Heft zu Gesicht bekam, und als er mir dann in seinem Zimmer im Institut das Manuskript für seinen nächsten Beitrag überreichte, meinte er, da sei auch schon ein passender Vortext von ihm vorangestellt. Den sollten wir doch bitte so (über-)nehmen.
Auf meine Rückfrage hin, ob er denn mit seinen bisherigen Vortexten nicht zufrieden gewesen sei (ich denke, ohne zu wissen, dass die von seinem ehemaligen Assistenten stammten), meinte er schlicht und bestimmt: „Nein!“ Und wie der Zufall es wollte, war auch Linde Salber bei diesem Gespräch anwesend und meinte aus dem Hintergrund, sie sei aber mit ‚ihrem‘ Vortext („Das Seyn ist der Stift in dem Wirbel“, 1/84) durchaus zufrieden, woraufhin W. Salber ihr beschied, ja auch insgesamt ein recht zufriedener Mensch zu sein. So viel zu Salbers manchmal ein wenig ‚herben‘ Umgang mit seinen Mitmenschen!
Fitzek: Danach kam Wolfram Domke in die Runde, und 1986 kam ich dazu.
Schulte: Das muss zu einem Zeitpunkt gewesen sein, als wir uns mit der Redaktion bereits seit einiger Zeit in einer Krise befanden, die sich so zuspitzen drohte, dass wir auf deren Höhepunkt kurz davor waren, das die Redaktion aufzulösen und damit aller Voraussicht nach auch das Projekt ‚Zwischenschritte‘ zu beenden. Anlass und Kern der Krise waren die Artikel-Überschriften vorne auf dem Cover der Ausgaben (‚U 1‘), die wir ebenfalls nicht einfach von den Überschriften der Artikel übernehmen wollten oder den Autoren abverlangten, sondern wir hatten in der Redaktion auch hierfür den Ehrgeiz, diese Titel-Überschriften, nachdem wir vorher noch relativ einvernehmlich festgelegt hatten, was ins nächste Heft sollte, selber zu formulieren. Und in diesen Sitzungen ging es in der Redaktion zunehmend hoch her. Wir brainstormten, machten Vorschläge – die meist von mir als unzureichend zurückgewiesen wurden, ohne dass ich gleich in der Lage war, eine für alle akzeptable Alternative bieten zu können. Und schon drehten wir uns im Kreise und die Stimmung stieg…
Fitzek: Man kann sich gar nicht vorstellen, dass stundenlang um drei Wörter diskutiert wird.
Schulte: Aber da ging es wirklich heftig zur Sache, allerdings hatte kurz vor Schluss einer von uns dann doch als rettende – und für Psychologen ja gar nicht so abwegige – Idee, für ein paar Sitzungen eine externe Beratung als eine Art Supervision oder Coaching (damals schwer im Kommen) bei einem uns empfohlenen Kollegen hinzuzuziehen. Und dabei stellte sich recht bald heraus, dass es bei diesem ganzen Titel-Gezanke letztlich und erstlich um die schlichte Frage ging, wer denn in der Redaktion der Zwischenschritte wohl das Sagen hatte. Denn bis dato hatte sich die bisherige Redaktion unabgesprochen wie für ein Start-up nicht unspezifisch darauf verständigt, keinen ‚Chefredakteur‘ zu benennen oder sich überhaupt über eine Abstimmung im Falle strittiger Punkte zu verständigen. Zwar war ich 1. Vorsitzender des ‚Arbeitskreises‘ und hinter meinem Namen im Impressum war das damals erforderliche ‚V.i.S.d.P‘ (= ‚Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes‘) angefügt, aber mehr schien uns für die erste Konstellation der Redaktion auch nicht erforderlich (weil es ohnehin klar war) und im Zuge der anschließenden Ab- und Zugänge wurde dieser Punkt von allen Beteiligten mit oder ohne Bedacht ausgeklammert. Bis dieses Thema dann über die Titel-Frage – als etwas, was ja auch vornedrauf für das Ganze steht – wieder (zunächst für alle in seiner Bedeutung unerkannt) auf die Tagesordnung kam und wir alle drei oder vier Mal zur Beratung gefahren sind.
Giebel: Ein Coaching für die gesamte Redaktion?
Fitzek: Das war vor meiner Zeit, aber ich habe sozusagen noch die Ausläufer mitbekommen, einen schwelenden Streit darum, ob Armin Schulte die anderen Mitglieder überstimmen konnte oder auch einmal eine Entscheidung der anderen akzeptieren konnte.
Schulte: Und da wurde uns dann doch relativ schnell klar(gemacht), was uns vorher nicht klar war, dass nämlich bei der Formulierung der Titel das Ganze in Frage stand und wo auch alle Beteiligten ihren Einfluss auf das Ganze erprobt haben. Das war sicherlich ein Fehler, vorher nie mal zu überlegen oder gar zu entscheiden, ob oder dass es einen Chefredakteur gibt. Das war ich in gewisser Weise ja, aber das war weder offiziell noch explizit. Und das ist uns erst in der Beratung klar geworden, was da für ein ungeheurer Anspruch hinter steht, wie man zu – zumal wichtigen – Entscheidungen gelangen kann. Wer setzt sich durch und wer kann Vorschläge ablehnen und wer sagt nachher Jawoll, so machen wir’s? Spannung oder sogar seltsam ist allerdings, dass wir eine solche Klärung oder Festlegung auch nach dieser Beratung, durch die die Wucht, die mit solchen Kämpfen ja immer verbunden ist, merklich abnahm, so dass wir weitermachen konnten, auch später – d.h. bis heute – nie wieder zum Thema gemacht oder gar vereinbart haben. Für die anstehende Online-Phase sollten wir uns vielleicht auch darüber mal ausdrücklich(er) verständigen…
Natürlich gab es auch später immer mal wieder Auseinandersetzungen und Streitpunkte. Aber nicht mehr in dieser Schärfe und zunehmenden Unerbittlichkeit. (Wahrscheinlich habe sich dann auch einige, die mit meiner Art nicht [mehr] klarkommen wollten, ganz einfach und ohne weitere Erläuterungen aus der Redaktion verabschiedet.) Ich kann mich noch erinnern, es gab mal irgendwann ein aufkommendes Unbehagen bei einigen in der damaligen Redaktion, die nach dem zweiten Artikel von Werner Seifert zur Architekturpsychologie der Ansicht waren, jetzt nicht noch in rascher Abfolge einen dritten Beitrag zu dieser Thematik zu veröffentlichen. Ich habe das dann dennoch durchgesetzt, da Werner Seifert mich in einem sehr persönlichen Gespräch eigenes darum gebeten hatte, nach einem Aufsatz über den Architekten G. Böhm, einer Untersuchung über den Neubau der Kölner Philharmonie und dem ‚Doppel-Museum‘ noch etwas über das Raumerleben im Kölner Dom bei uns veröffentlichen zu können.
Hintergrund seiner Bitte war, dass Udo Undeutsch als vorgesehener Gutachter im Rahmen von Seiferts Habilitations-Verfahrens mit einer umfangsreichen Arbeit über eine gestalt-psychologisch fundierte Architekturpsychologie (die demnächst im Zwischenschritte-Verlag, wenn auch spät, als Buch erscheinen wird), ihm vor Eröffnung des Habilitations-Verfahrens bzw. vor dem offiziellen Einreichen seiner Arbeit, diese zurückzuziehen (weil – so die Argumentation von Undeutsch – die Arbeit beim Scheitern des Verfahrens auf Dauer „verbrannt“ sei). Seifert folgte Undeutsch in diesem Vorschlag zwar zunächst, ärgerte sich darüber aber später wohl sehr, weil er es Undeutsch somit erspart hatte, in seinem Gutachten im Zuge des dann ja stattfindenden Habilitations-Verfahrens ‚Farbe zu bekennen‘ und seine seitens Seifert wohl gemutmaßte Ablehnung der Arbeit offiziell zu begründen. So aber war Seifert nunmehr daran sehr gelegen, die ihm wichtigsten Teile seiner Habilitation zumindest in den Zwischenschritten zu veröffentlichen. Die Tragik für Werner Seifert bestand dann später erneut darin, dass auch ein zweiter Habilitations-Versuch – dieses Mal über den TAT (der später als Buch erschien: „Der Charakter und seine Geschichten“) – keine erforderliche Unterstützung fand (nunmehr wohl seitens W. Salber…).
Und mit Dir Herbert habe ich mich über die Filmrezensionen von Günter Everhartz, die ich über längere Zeit hinweg im Unterschied besonders zu Dir sehr mochte, wirklich gezofft. Everhartz – ausgewiesener Lacanerianer und auch sonst ein sehr belesener und kluger Kopf – war damals ‚studentische Hilfskraft‘ am Salber-Institut war weiter ein glühender Verehrer von Arno Schmidt – erinnerst Du Dich an Arno Schmidt? …
Fitzek: … man kannte ihn in dieser Zeit …
Schulte: … ein deutscher Schriftsteller – sehr strange und eigenwillig, weil der seine Texte ganz kompliziert z.B. mit Brüchen – oben ist ein A und unten ein N – und anderen Abgedrehtheiten verfasst hat (muss man mal gesehen haben), denen Everhartz in seinen Filmkritiken für die Zwischenschritte heftig nachgeeifert hat. Herbert fand diese, seine Einreichungen zunehmend anstrengend und auch H.D. Günther hat sich beim Fotosatz immer sehr aufgeregt, sobald ein Text von Everhartz an der Reihe, und ich musste mich sehr anstrengen, um HDG bei Laune zu halten. Aber in der Redaktion gab Stress mit Herbert, zunehmend auch insofern für mich nachvollziehbar, weil Everhartz es – das war seine Tragik – mehr und mehr darauf anlegte, seine Texte immer provokanter zu verfassen – auch inhaltlich – so dass auch ich irgendwann nicht mehr umhinkonnte, seine Offenbarungen in den Zwischenschritten zu beenden.
Fitzek: Gelesen hat ‚man‘ Schmidt trotz aller Eigenwilligkeiten deshalb aber noch nicht, ne, da musste ich passen.
Schulte: Den fand Eberhartz aber eben ganz toll. Und so hat er auch seine Rezensionen geschrieben. Und da ist dann H.D. Günther zunehmend ausgeklinkt, wenn ich mit einem Text von Everhartz ankam. Günter Everhartz hat sich damals bei Zwischenschritte auf Filmbesprechungen fokussiert (er ging zu dieser Zeit regelmäßig mit Dirk Blothner ins Kino, schieb aber auch ‚privat‘ sehr viele Texte, die er aber wohl ob ihrer Besonderheit nirgends publizieren konnte). Aber ich mochte seine Sachen eine Zeitlang sehr – über den ‚Terminator I‘ („Der Unkaputtbare“), Chabrol-Filme („Am eigenen Leibchen erlitten“) oder auch einen ziemlich unziemlichen Verriss von Spielbergs „Schindlers Liste“ (über den wir uns einen ganzen Abend lang in der Redaktion gezankt haben – Nehmen oder Nicht-Nehmen? –, den Everhartz, wie er mir später mal berichtete, allerdings nie gesehen hatte). Der Film war übrigens ein damals ja sehr beachtetes Ereignis, anlässlich dessen ich auch die vier Autoren das Buchs ‚Holocaust‘ – Y. Ahren, C. Melchers, W. Seifert und W. Wagner angeregt hatte, je eine Rezension für Zwischenschritte zu schreiben.
Fitzek: Diese Vier hatten seinerzeit (1982) ein Buch über „Das Lehrstück Holocaust” – eine 4teilige Fernsehserie, die 1978 in der ARD lief – herausgegeben, muss man wissen. Was sogar ein Buch war, mit dem die Morphologen in die öffentliche Diskussion kamen, wobei sich aber zeigte, wie wenig die Morphologie darauf vorbereitet war, sich öffentlichkeitswirksam einzumischen.
Schulte: All diese Filmbesprechungen sind allerdings aktuell nicht als PDF verfügbar, und man könnte die – wie auch all die anderen Filmrezensionen (u.a. viele von D. Blothner) – noch mal eigens zusammenstellen. … machen wir … Aber um noch einmal auf HDG und dem Fotosatz zurückzukommen:
Horst-Dieter Günther bestand im Laufe der Zeit zunehmend darauf, dass ich bereits mit umfassend vorbereiteten Dateien zu ihm kam, in denen die Artikel schon mit ganz vielen Sonderzeichen (für Versalia, Gedanken- vs. Trennungs-Strichen, An- und Abführungen [ganz komplexes und kompliziertes Thema!, über das wir uns ebenfalls einen ganzen Abend zu Beginn verständigt haben] etc.) versehen waren, so dass er damit weniger Arbeit hatte. Er sah sich wohl immer noch an seine anfänglichen Vereinbarungen gebunden, aber gingen ihm wohl mit den Zwischenschritte – nicht zuletzt wegen der bizarren Texte von Everhartz – zunehmend ‚auf den Keks‘. Also schaffte ich mir schon recht früh einen (gebrauchten) PC an – einen NCR (‚Nichts clappt richtig – noch nicht mal richtig schreiben können die‘) mit einer für damalige Zeiten kaum vorstellbaren 20 MB Festplatte und einem Farbmonitor – und verbrachte fortan viele meiner Abende und Nächte damit, diese mit HDG vereinbarten Sonderzeichen in die Artikel-Dateien der nächsten Ausgabe einzufügen (‚Suchen‘ und ‚Ersetzen‘). Auch die Erfassung der weiterhin auf Papier eingereichten Manuskripte fand mittlerweile nicht mehr bei HDG statt – der war es wohl zunehmen leid, dass wir bei ihm in der Wohnung arbeiteten –, sondern zu Hause bei einer Bekannten von Herbert (gegen Honorar), die auch schon einen PC da stehen hatte.
Giebel: Die Relevanz der älteren Artikel der Zwischenschritte ist in der heutigen Zeit nach wie vor ungebrochen. Aus der „Wilhelm Salber Gesellschaft“ heraus haben sich bspw. unterschiedliche Arbeitsgemeinschaften gegründet wie z.B. die ‚AG Gesundheitssystem‘ mit Carl Vierboom. Diese Arbeitsgruppe untersucht seit ca. einem Jahr einzelne Phänomene des Gesundheitssystems. Im Zuge dessen ist uns auch bspw. der ältere Artikel ‚der Fall Gregor‘ noch mal aufgekommen. Entsprechend kann immer wieder festgestellt werden, dass diese älteren Texte nach wie vor eine hohe Relevanz im heutigen Alltag haben.
Schulte: Und das war mir damals, als Dellen das 1983 im Seminar erzählte, auch durchaus bewusst, dass man diesen Fall ‚der Nachwelt‘ erhalten müsste. Denn bis 81/82 war die Morphologie – jenseits der Salber-Bücher – eine im Wesentlichen eine Angelegenheit ‚mündlicher Überlieferung‘ und darauf angewiesen, dass man das in Köln studierte. Also habe ich gerade in den Anfängen Leute wie Dellen angesprochen und das war denn auch zunächst mein Job, solange am Ball zu bleiben – so eine Art ‚Mann-Deckung‘ –, bis das Projekt mehr und mehr ans Laufen gekommen war und man sich mit einem Beitrag von sich aus bzw. direkt an uns gewandt hat.
Aber das mit der Hartnäckigkeit meinerseits war auch später immer mal wieder erforderlich wie z.B. bei den Fall-Darstellungen von Gisela Rascher. Das war ab der Tagung ‚Analytischer Intensivberatung‘ 1984 wirklich Pionier-Arbeit ihrerseits und als solche mit sehr viel Arbeit und Anstrengungen verbunden – Chapeau nach wie vor! –, und G. Rascher hat ja denn ab 1988 („Wenn Bilder zum Psychologen müssen“) eine ganze Reihe von Fall-Darstellungen in Zwischenschritte publiziert. Wir hatten immer mal vor, all ihre Fälle mal in einem eigenen Band zusammenzufassen, aber kommt Zeit, kommt Buch …
Giebel: Jetzt haben wir einen ersten kleinen Einblick in die Tradition der Zwischenschritte genommen. Erst mal vielen Dank dafür. Was mich persönlich sehr interessiert: Wie kam es denn eigentlich zu dem Namen?
Schulte: Ich erinnere mich vage, dass wir Ende 1981 mal einen ganzen Abend damit verbracht haben, uns einen passenden Titel auszudenken. Es gab ziemlich viele Einfälle und Vorschläge, die wir auch auf einem Blatt notiert haben, aber das gibt es nicht mehr. Irgendwann fiel dann wohl auch der Begriff ‚Zwischenschritte‘ und der hat sich dann schließlich auch durchgesetzt, kam vorne drauf – ich habe die Buchstaben in Letraset abgerubbelt, aber den Bogen nicht richtig angelegt, so dass es zwischen den beiden ‚S‘ und dem ‚C‘ eine Lücke entstand, die erst später korrigiert wurde –, hat sich bewährt und ist dank seiner grundsätzlichen Programmatik, die uns damals jedoch gar nicht so bewusst wer, ‚schnittfest‘ bis heute. Der Titel sprach sich auch ziemlich schnell herum, wurde zum ‚stehenden Begriff‘ und ich weiß noch, dass wir alle in der Redaktion, wie vorhin bereits erwähnt, ziemlich stolz waren, als Salber in seiner Vorlesung erstmals auf die Zwischenschritte zu sprechen kam. So ähnlich muss es Musikern ergehen, wenn sie ihr Lied zum ersten Mal im Radio hören. (Unvergessbar auch, als Salber im ‚Oberseminar C‘ – also im Diplomanden-Seminar – auf die Frage hin, wie denn eine Morphologische [Diplom-]Arbeit aufzubauen und zu untergliedern sei, auf die ‚Hinweise für Autoren‘ verwies, die wir mittlerweile [ganz-seitig] erstellt hatten.) Die Unterzeile „Beiträge zu einer morphologischen Psychologie“ hatte ich übrigens mit Bedacht gewählt, denn wir wollten zwar mit der Zeitschrift etwas zur Entwicklung ‚der‘ Morphologie beitragen, und es sollte deutlich werden, dass die Salbersche Morphologie eine bestimmte Ausprägung von Morphologie ist, und dass es durchaus auch noch andere Auffassungen geben kann&könnte.
Giebel: Vielleicht können wir das noch mal ausführlicher erläutern. Die Zeitschrift heißt ja nun auch in der Tat „Zwischenschritte – Beiträge zu einer morphologischen Psychologie“. In welchem Zusammenhang steht denn ‚Zwischenschritte‘ als Begriff mit der morphologischen Denkweise?
Fitzek: Dazu fällt mir zuerst ein, wie wichtig für Salber die Begriffsbildung von Anfang an war und wie wichtig ihm insbesondere war, dass es sich bei den meisten Begriffen um gebräuchliche Begriffe handelt, in denen ein (tiefere) Bedeutung offengelegt wird. Das war sehr morphologisch gedacht, den Begriffe sind ja eben nicht Definitionen (Abgrenzungen), sondern Spielräume von Bedeutungen. Und Salber hat Begriffe geliebt und verwendet, die dieses Spiel zulassen und einen ‚Zwischenraum‘ eröffnen, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Gestalt und Verwandlung, zwischen Prägnanz und dem Weiterdenken. Sie können das Hexagramm nehmen. Sie können auch die die Doppelheiten der Qualitäten und Verhältnisse nehmen. Es geht eigentlich immer darum, dass etwas ‚durch sich selbst‘ auf anderes verweist, dass da etwas ‚zu sich‘ kommt, indem es paradoxerweise aufgebrochen ist. Und insofern passt ja Zwischenschritte sehr gut. Die Liebe zum Paradox der Begrifflichkeiten merkt man im Wortwitz und in den hintersinnigen Formulierungen bis heute, wenn etwa Stephan Grünewald auf dem Bildschirm erscheint oder seine Kolumne schreibt, das ist ein ganz zentraler Punkt, der ‚gute‘ Morphologie auszeichnet. Aber Wortwitz und Hintersinn müssen bei den Adressaten vorbereitet sein und fallen nicht immer auf fruchtbaren Boden. Dazu passt eine Anekdote, die wieder zur Frage nach dem Titel „Zwischenschritte“ zurückführt. Für die Morphologen war Zwischenschritte ein perfekter (weil in sich gebrochener) Begriff. Darüber gab es keinen Zweifel. Als wir damit aber zum ersten Mal auf die Frankfurter Buchmesse gingen (um ‚entdeckt‘ zu werden, s.o.), und unser Heft in der Zeitschriften-Abteilung zwischen all den anderen wissenschaftlichen Zeitschriften suchten, fanden wir es zuerst gar nicht und dann falsch eingeordnet unter dem Titel ‚Zuchthygiene‘.
Schulte: ‚Zeitschrift für Zuchthygiene‘ – es gab, glaube ich, auch mal von der Messe aus eine Anfrage für ein Frei-Exemplar, wo das vermerkt war. Hätte man aufheben müssen. – Und, was mir noch dazu einfällt, ist, dass es 1984 auch einmal eine Besprechung in der Kölner Stadtzeitung „Stadt-Revue“ gab, die in Anspielung auf den Titel mit dem Satz endete: ‚Soweit ganz nett‘… „… vielleicht werden daraus ja auch mal Schritte.“ Motto: ‚Wir wünschen der Zeitschrift alles Gute, und vielleicht kriegt ihr auch noch mal die Kurve, und es werden in Zukunft sogar mal richtige Schritte.‘
Fitzek: Ich würde nach wie vor sagen, Zwischenschritte ist der Top-Titel, habt ihr super gemacht und wirklich perfekt getroffen. Aber für Außenstehende ist der Titel nicht nur nichtssagend, sondern die mussten dann direkt ihren eigenen Reim draus machen, und heraus kam eine Verballhornung. Das sagt viel aus über die Zwischenschritte.
Schulte: Zwei Ergänzungen – einmal auf das bezogen, was Du gerade sagtest mit der ‚Zeitschrift für Zuchthygiene‘. Wir hatten nach 2-3 Jahren ja damit angefangen, ein Exemplar der Zwischenschritte an die separate Zeitschriften-Abteilung nach Frankfurt zu schicken (‚unverlangt eingesandt‘), aber die dafür Zuständigen konnten wohl nichts damit anfangen und wussten nicht, wo sie uns einsortieren sollte. Auf die Idee, dass es sich hierbei um eine psychologische (Fach-)Zeitschrift handelt, ist wohl keiner von denen gekommen. Kann man sogar irgendwie nachvollziehen … ‚Es ist nun mal so, wie es nun mal ist.‘
Und noch eine zweite Ergänzung zum Thema ‚Morphologie (nur) in Köln‘: Die Kölner Uni war in den 70/80ern über Jahre hinweg die beliebteste Uni in Deutschland beim Ankreuz-Verfahren für die Studienort-Präferenz im Fach ‚Psychologie‘ bei der ZVS in Dortmund (wir erinnern uns: Psychologie – numerus clausus – Zentrale Stelle für die Vergabe von Studienplätzen). Und diese Beliebtheit hatte wohl weniger mit dem Dom und dem Kölsch zu tun, als vielmehr mit der Morphologie und mit Salber. Wenn auch die Köln-willigen Studenten in spe vorher wohl kaum wussten, was ihnen diesbezüglich bevorstand und auf was man sich da einließ. Und wie es mir zu Beginn meines Psychologiestudiums in Köln so erging, habe ich in einem eigenen Text ausführlich(er) beschrieben – wer mag, kann da ja mal reinschauen, den Text gibt es jetzt auch hier im Portal als PDF zum Runterladen (s. Schulte: „Mein Salber – Eine Annäherung in Anekdoten“). Hier nur so viel: Eines der ersten fachdienlichen Hinweise, die man mir nach einem Studienorts-Wechsel von Gießen (wo mir die ZVS zum WS 17/18 einen Platz in Psychologie angeboten hatte) nach Köln im SS 1978 mit auf den Weg gab, war, dass man sich in Köln möglichst zügig entscheiden müsse.
Zwischen was denn?
Zwischen Salber und der Morphologie und den anderen Professoren (Undeutsch, Angermeier, Kirchhoff mit seinen drei oder vier ‚Ws‘ …) Und welche Kriterien kann man einer solchen Entscheidung zugrunde legen?
Salber ist schwierig, aber sehr interessant.
Aha!?
Mehr war zunächst mal nicht in Erfahrung zu bringen, aber da ich – weil ich ohnehin mit einem Semester in Verzug war und auch erst zwei Wochen nach Beginn des Sommersemesters in Köln eintraf – einfach den Stundenplan eines entfernt bekannten Kommilitonen, der sich wohl schon für Salber entschieden hatte, übernahm, saß ich schon am ersten Montag-Nachmittag um 15.00 Uhr in der Vorlesung des mir gänzlich unbekannten Wilhelm Salber (Google gab es noch nicht!) und durfte mir gleich einen Satz anhören, den Salber auch künftig fast immer zu Beginn seiner Vorlesung am Anfang eines Semesters zu sagen pflegte:
„Vergessen Sie alles, was Sie bislang über Psychologie gehört oder gelesen haben.“
Willkommen in Köln!!
Wie wohl (fast) alle Psychologiestudierende – damals wie heutzutage – war natürlich auch ich der festen Überzeugung, dass ich dank meines bereits seit Jahren gepflegten Interesses für Psychologie (Abonnent der „Psychologie heute“ seit ihrem ersten Heft 1972 und Besitzer des einschlägigen Fischer-Lexikons) schon sehr viel über die Psychologie wusste, mir mit einem Studium noch ein paar Kugeln mehr an den ansonsten jedoch schon ansehnlich ausgestatteten (Weihnachts-)Baum würde hängen können – eine vergleichende Metapher, die mir neulich mal zum Beginn des Semesters an der BSP durch den Kopf ging –, und jetzt kommt mir der Mann da vorne so?? Salber erzählte dann im weiteren Verlauf seiner Vorlesung ‚irgendwas‘, dann war Schluss, man ging raus, rieb sich verwundert die Augen und fragte sich: Was war das gerade? Worum ging es da?
Wobei, Salbers Vorlesungen waren ja – nach einiger Zeit der Eingewöhnung – noch einigermaßen nachvollziehbar. Ich habe dann aber alsbald angefangen, auch mal in eins seiner Bücher zu schauen – „Der psychische Gegenstand“ –, von dem ich annahm, das sei was einführend Grundlegendes, und ich habe dann zwei Wochen mit dem Vorwort verbracht und mir gesagt, ich lese das jetzt so lange, bis ich zumindest in etwa kapiert habe, worum es in diesem Buch eigentlich geht. Was will der Mann? Und auch bei den anderen Veranstaltungen in diesem ersten Semester habe ich mich immer im Hörsaal 369 mit einem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bewaffnet hoch oben in die letzte Reihe gesetzt, aber nicht etwa, um Zeitung zu lesen, sondern um das Geschehen dort unten (wo der Dozent agierte) durchaus mit wachsender Anteilnahme (aber lange Zeit schweigend) zu verfolgen. Also ich musste auf Distanz gehen, um mich einlassen zu können – eine Erfahrung, die wie andere auch, phasenweise recht ‚schlimm‘, irritativ und belastend war. Denn Salber hatte ‚natürlich‘ mit seinem ‚Vergessen Sie es!‘ Recht. Salber hatte ja auch seine Feindbilder, auf die er immer wieder ‚einprügelte‘ (muss man so sagen): Elemente, Klötzchen, Triebe, Denken, Fühlen, Wollen – alles Begriffe, mit denen man tagtäglich um sich warf, und die jetzt mehr und mehr zum Tabu wurden. So geht es wohl nicht! Aber wie denn dann? Ich wurde dann im Verlauf meines ersten Studienjahres in Köln zunächst mal sprachlos – das war eine sehr schmervolle Erfahrung. Und erst allmählich, Schritt für Schritt, musste man sich anfänglich mühsam darin einüben, sich über Beschreibungen wieder einen angemessenen Sprachschatz zu entwickeln. Dass das alles auch sehr vergnüglich war und Spaß machen konnte, das kam erst mit der Zeit.
Fitzek: Ein Beispiel für das, was Schulte sagt, fällt mir aus der ersten Vorlesung ein, in der ich gesessen habe. Die war übrigens legendär, denn 1977/78 hat Salber seine vielleicht allgemeinste und beste Einführungsvorlesung in die Morphologie gehalten, in der dann nicht zufällig die Leute gesessen haben, die später die Morphologie wissenschaftlich geprägt haben. Da hörten sich die Erstsemester also gleich in der ersten Sitzung an, über ‚das‘ Gehirn würde er selbst ihnen nichts sagen können, außer, was er aus eigener Erfahrung mitbekommen hätte: nämlich dass seine Mutter früher Gehirn in der Pfanne gebraten hätte, mit viel Pfeffer und Salz. Und man es dann gemeinsam verzehrte. Das war kein reiner Zynismus, sondern ein Hinweis darauf, welchen Rang ‚das‘ Gehirn in der Alltagswelt zumindest damals hatte – und von der geht die Morphologie nun mal grundsätzlich aus.
Schulte: Man lernte zu Beginn seines Studiums der Morphologie also recht zügig, das man die ganzen üblichen Begriffe, Kategorien, Denk-Muster, Menschen-Bilder vergessen sollte-musste-konnte. So auch in meiner WG, ein anderer Mitbewohner war Biologe, also Naturwissenschaftler reinsten Wassers, und als der so mitbekam, was wir da bei unseren Seminaren so alles veranstalteten – Stichwort ‚Empirie‘ – hat er angefangen, mich immer vehementer zu löchern: Was machst Du da eigentlich? Was treibt ihr da? Was erzählt dieser Salber Euch? Das ist ja nun völlig gaga! Ich saß dann in solchen Diskussionen und wusste, so unbefangen und altklug, wie ich bislang über ‚das‘ Seelische (allein schon dieser Begriff!!) geredet hatte, so geht es nicht, das ist Quatsch, aber ich hatte eben noch nix Neues und war wirklich über ein Jahr – in dieser Hinsicht – sprachlos.
Fitzek: Also da ging es mir genauso. Ich habe mich ein halbes Jahr in jedem anderen Seminar beteiligt, aber in Salber-Veranstaltung keinen Ton gesagt.
Giebel: Es ist ja bekannt, dass wir alle Drei an der ‚Business & Law School‘-Berlin tätig sind. Der Morphologische Schwerpunkt ist ein Schwerpunkt im Studiengang ‚Wirtschaftspsychologie‘ und im Master-Studiengang ‚Medienpsychologie‘. Und unseren Studierenden geht es ja sehr ähnlich, dass all die ‚psychologischen‘ Vorkonzepte, mit denen die Studierenden hier an die Hochschule kommen, dauerhaft demontiert, über Bord geworfen werden. Es dauert ja gerne mal einige Semester, bis sich so ein Bild entfaltet, das für die Studierenden auch begreifbar ist. Es ist auch ein komplett neues Vokabular, das die Studierenden lernen müssen. Salber hat in einem seiner Bücher geschrieben, dass eine neue Sichtweise auch neue Begrifflichkeiten braucht, um sich verständlich zu machen, weil man nicht für eine neue Sichtweise mit alten Begriffen operieren kann. Das ist ein sehr mühseliger Prozess, sich diese neuen Begrifflichkeiten anzueignen.
Fitzek: Das ist richtig. Aber der Unterschied ist: Hier an der BSP kann man früh ‚Sprechen-Übungen‘ machen und es einfach mal versuchen. Das ging bei Salber insofern nicht, als dass er auf bestimmte Dinge sehr allergisch reagierte, die man als Neuling jedoch nicht ahnte. Zum Beispiel forderte er gern im Mittelseminar dazu auf, vor 100 Leuten sein persönliches Erleben zu äußern. Immer mit der Ermutigung: Nur zu, trauen Sie sich, das Erleben hat immer recht, na, einer muss doch mal den Anfang machen … Und einmal fasste sich nach einer Filmvorführung jemand ein Herz und meinte, der Film hätte nach seiner Meinung mit ‚Moral‘ zu tun. Salber: Falsch! Da wurden also sehr öffentlich harte Prüfungen ausgetragen.
Schulte: Ja, ein anderer Student sagte mal in diesem Seminar über Filme und Filmerleben, dass der Film, über den man gerade sprach, ja so (s)einen ‚Reiz‘ habe, und da wurden einige Studenten aus dem höheren Semester schon etwas unruhig. Und als dann ein Morpho-Novize diesen Begriff aufnahm und weiter ausführen wollte – dieser Film würde einen ja mit sehr vielen ungewöhnlichen Reizen konfrontieren – schaltete sich Salber mit der Bemerkung in die Diskussion ein, also, mit dem völlig veralteten ‚Reiz‘-Begriff käme man hier nicht weiter, und man sollte stattdessen doch erst mal beschreiben, welches Erleben sich mit diesem Film denn ‚wirklich‘ entwickelt. Folge: Die jüngeren Semester verstummten und die Fortgeschritteneren erfuhren eine kleine Bestätigung, dass sie schon ein wenig weiter in die Mysterien ‚der‘ Morphologie eingedrungen waren und machten sich ans Beschreiben. Das Studium der Morphologie war so eine Art ‚Gehirn-Wäsche‘, ein Vorwurf, welcher ‚der‘ Morphologie auch die ganzen Jahre immer mal wieder gemacht wurde. Und ich war später als (‚Selber‘-)Lehrender an der Uni bzw. an der kamm („Kölner Akademie für Markt- und Medienpsychologie“) bei solchen Gelegenheiten auch immer versucht zu erwidern, ja, warum denn nicht? Warum soll nicht auch das Gehirn wie andere Körperteile von Zeit zu Zeit mal gewaschen werden. Wegen Vietnam und sonstige Folter-Gräuel habe ich das aber ‚sein gelassen‘. Auch eine schöne kölsche Redensart (‚Sein lassen!‘, s. https://www.youtube.com/watch?v=IXITIZDgGhM&t=145s).
Giebel: Zurück zur Zeitschrift: Mich würde noch interessieren, wie hat sich der Fortgang der Zeitschrift denn nach der Gründungszeit weiterentwickelt – ab 1982, 1985, 1990?
Schulte: Das hat eigentlich die ganzen Jahre über mit einer – auch&gerade im Nachhinein betrachtet – erstaunlichen Regelmäßigkeit und Kontinuität funktioniert. Wir hatten jede Woche, bis auf drei, vier Wochen nach Erscheinen einer Ausgabe, unsere Redaktionssitzung, haben ab Mitte 80 auch die Artikel, die in den kommenden Ausgaben erscheinen sollten, angekündigt, haben neue Rubriken eingeführt, andere ‚sein gelassen‘, und an all das haben wir uns auch die nächsten 7,8 Jahre im Wesentlichen gehalten. Die Zeitschrift ist zweimal im Jahr erschienen und wenn ich mir in der letzten Zeit hin und wieder mal das Gesamt-Verzeichnis anschaue, bin ich, wie schon gesagt, also selber sehr erstaunt, dass wir das mit einer Unterbrechung fast 30 Jahre durchgehalten haben. Klar, da gab es verschiedene Wechsel, da sind Leute ausgestiegen oder haben, wie Herbert mal, eine Zeit lang pausiert, weil sie sich um ihre Promotion gekümmert haben, aber die Arbeit in der Redaktion ging weiter, und auch die Artikel kamen die ganze Zeit über rein.
Fitzek: Die Zwischenschritte haben auch das Ausscheiden Salbers aus der Universität sehr gut überstanden und zunächst einmal ein Fest gefeiert: „Wirklichkeit als Ereignis“. Das war in der Geschichte der Zwischenschritte ein absolutes Highlight. Während an der Universität Untergangsstimmung herrschte, haben wir im Maternushaus in Köln ein dreitägiges Programm zusammengestellt und analog dazu einen ansehnlichen Doppelband der Zeitschrift. Die lief trotz dieses Bruchs bis Ende der 90er Jahre unvermindert weiter.
Schulte: Später hat es sich dann zwar mit dem Erscheinungs-Termin immer mal ein bisschen verzögert, so dass wir nicht mehr so ganz knallhart im Juni und im Dezember erschienen, sondern da gab es dann kleinere Schwankungen, anhand derer man sehr wohl merken konnte, dass da Veränderungen im Gang waren. Bis 1999 dann – fast schon ziemlich abrupt – das letzte Heft rauskam bzw. wir zunächst sogar davon ausgegangen sind, dass diese Ausgabe die letzte sein würde, aber Linde Salber war damit nicht ‚einverstanden‘ und hat gewissermaßen in Abstimmung mit uns, ansonsten aber in eigener Regie das 2000er Heft zur Psychologie des Traums zusammengestellt, mit den Autoren erarbeitet und ab da im Gießener Psychosozial-Verlag im Laserdruck und gewissermaßen als ‚print on demand‘ herausgegeben. Auch die nächsten 4 Hefte oder ‚Jahrbücher‘ sind dann bis 2011 in größeren Abständen als Herausgeber-Projekte mit einem jeweiligen Themenschwerpunkt erschienen. Und dann war erstmal Schluss. Vorher – 1999 – sollte es zwar, weil das so ungewohnt dünn ausfiel, laut anfänglicher Planung noch eine weitere Ausgabe 1999-II geben, aber dazu kam es nicht mehr.
Fitzek: Ja, das mit dem 1999-I war Dein Wunsch. Wir haben zwar alle gesagt, was soll denn jetzt noch eine Untergliederung? Es wird auf absehbare Zeit das letzte Heft werden, und ein halbes erstes Heft im Jahr 1999 macht doch keinen Sinn. Aber gelegentlich waren wir gegen Schulte-Meinungen – der sich damit wohl nicht abfinden mochte – kollektiv auf verlorenem Posten. Das Heft 1999-I an sich war natürlich ganz wichtig, denn es beinhaltet die Haltung der Morphologen zum Millennium.
Giebel : Bspw. der Artikel ‚Anarchie und Diktat‘.
Schulte: Die Beiträge in diesem, gegenüber den vorherigen Ausgaben wesentlich schmaleren Heft waren das, was wir für dieses Heft – immerhin kurz vor einer Jahrtausendwende – an Artikeln zusammen bekamen. Und trotz der Substanz einiger Beiträge – allen voran eben ein prognostischer Blick auf das Jahr 2020 – kam so eine Stimmung in der Redaktion auf, wo wir uns gesagt haben, dass wir die ganzen Jahre über doch so einiges für den Fortbestand der Zwischenschritte getan hatten, aber wenn wir jetzt absehen können oder befürchten müssen, künftig eventuell auch noch hinter den Artikel ‚herzulaufen‘, dann sollten wir mal anfangen, darüber nachzudenken, dieses Projekt einigermaßen würdevoll zu beenden.
Denn seit Salbers Emeritierung 1992 hatte z.B. die Zahl morphologischer Diplomarbeiten dann doch mehr und mehr abgenommen und auch die Leute aus den morphologischen Instituten – rheingold (IFM Köln), ifm wirkungen+strategien (ehedem IFM Freiburg) und andere – hatten mittlerweile andere Zeitschriften, wo sie ‚markt-näher‘ publizieren konnten (z.B. ‚Horizont‘ oder ‚planung&analyse‘). Heinz Grüne – einer der Geschäftsführer von rheingold – hat damals beispielweise hat in der „Lebensmittel Zeitung“ einen Artikel über den Wandel des Bierkonsums in Deutschland geschrieben Also ‚mussten‘ auch wir einsehen: „The Times They Are A-Changin’“
Zugespitzt formuliert: Eine ganze Reihe ehemaliger Zwischenschritte-Autoren brauchten uns nicht mehr, und dann kamen ja auch schon die ersten Homepages auf, auf denen man Texte veröffentlichen konnte – eine Verlagerung, die ich zwar manchmal mit einem gewissen Bedauern zur Kenntnis genommen habe, weil diese Beiträge dort trotz bekundetem Anspruch (‚morphologisch‘, ‚tiefenpsychologisch‘) in der Regel eher ‚kundenfreundlich‘ verfasst waren – aber so war nun mal ‚der Lauf der Dinge‘ (https://www.facebook.com/earways/videos/der-lauf-der-dinge-the-way-things-go-fischli-weiss/570376236477565/).
Und es gab ja auch kein offiziell bekundetes Ende der Zwischenschritte mit einer Trauer-Veranstaltung im Kölner Dom. Aber ein solches schien sich abzuzeichnen, zumal es die kommenden Jahre dank der Initiative Einzelner noch vier Ausgaben geben sollte. Und nicht zu vergessen: 2010 erschein die erste Ausgabe der Zeitschrift ‚anders‘, in denen man morphologisch verfasste Texte publizieren konnte. Es ging also buchstäblich ‚anders‘ weiter.
Ich selbst war ja an den folgenden Zwischenschritte-Ausgaben bis 2011 – 2000 ‚Traum‘, 2002 ‚Kleider und Mode‘, dann kam eine Tagung…
Fitzek: … das war 2003. Wir haben uns gefreut, dass Linde Salber zwei Themenhefte herausgegeben hat, allerdings mit der Ansage, dass sie in Zukunft aber nicht alles übernehmen werde, und dann ergab es sich, dass ich eine Tagung der ‚Gesellschaft für Kulturpsychologie‘ ausgerichtet habe, aus der Michael Ley und ich ein weiteres Heft gemacht haben. …
Schulte: … dann eine Ausgabe zum Thema ‚Musik und Musik-Erleben‘ und at last „Kulturen im Dialog“ (noch eine Tagung) – ja auch über das Layouten noch in zweiter Reihe beteiligt und hatte mich ansonsten bereits lange vorher auch um andere Projekte wie der kamm oder – nicht ganz unbedeutend – ab 2005 zusammen mit Herbert Fitzek um die Entwicklung und Einrichtung eines morphologisch fundierten Studiengangs in Wirtschaftspsychologie zunächst an der UMC, dann im Rahmen der BSP, beides private Hochschulen in Potsdam, gekümmert. Also mir fiel der Abschied, zumal unabänderlich oder wenn, dann wohl nur mit großem Aufwand und viel Arbeit entgegenbewirkbar, nicht allzu schwer. Geholfen hat mir dabei übrigens auch eine typische Haltung Wilhelm Salbers, die mir im Umgang mit ihm mehrfach aufgefallen war: Salber drehte gewöhnlich an allem, was ihm entgegengebracht wurde oder mit dem er konfrontiert war, solange, bis es ihm ‚in den Kram‘ passte und seinen Bedarfslagen und Interessen entsprach. Solange er drehen konnte und man ihn drehen ließ, hat er auch in seinem Sinne gedreht (‚entschieden salberianisch‘). Sobald man ihm aber mit einem anderen, eigenen Ansinnen gleichermaßen entschieden entgegentrat (‚Nein!‘), und er merkte, hier ist wohl Schluss mit Drehen – oder wenn doch, dann nur mit viel Aufwand – dann hat er es auch ‚sein gelassen‘. Er war in diesen Dingen recht ökonomisch und hat stets v.a. ‚sein Ding‘ im Auge behalten (eine Grundhaltung, die wohl auch seinem Rückzug aus der psychologisch-akademischen ‚scientific community‘ ab Mitte der 60er Jahre (u.a.) zugrunde lag). Aber 2011 waren wir uns in der Redaktion einig: Nee, Leute, das ist jetzt zu mühsam, dann lassen wir das mal! Und es gab ja jetzt eben auch eine würdige Nachfolge dank „anders“.
Giebel: Dann kann man also sagen, nach der Emeritierung von Wilhelm Salber, dem Wegfall von regelmäßigen Artikeln über Autoren der Universität zu Köln, hat sich der Charakter der Zeitschrift hin zum Themenheft verändert?
Schulte: Ja, die fünf Themenhefte in der (damals) letzten Phase – Traum, Mode, Fremde Wirklichkeiten, Musik, Kulturen im Dialog – mit eigenen Herausgebern, welche die bisherige Arbeit der Redaktion übernommen hatten – gewissermaßen in so einer Art ‚Ab-‘ oder ‚Auskling-Becken‘.
Giebel: Jetzt haben wir über die Tradition der Zeitschrift und Gründungsgeschichte ausführlich gesprochen, über den Werdegang, die Emeritierung von Wilhelm Salber, die Rolle der einzelnen Mitglieder in der Redaktion, über die Wechsel in der Redaktion und auch über die Rolle von Salber gesprochen. Es sind in diesem Zuge immer mal wieder Institute genannt worden. Welche Rolle spielen denn die Morphologischen Institute in der Entwicklung der Zeitschrift?
Fitzek: Gar keine, die haben sie auch nie beansprucht oder gar eingeklagt. Da waren die Zwischenschritte nie strategisch, wir haben nach Qualität Ausschau gehalten und nicht danach, welche Institutionen wir einbinden wollten. Aber als (einzelne) Autoren waren Melchers und Grünewald umso wichtiger.
Giebel: Und eine weitere, für die Morphologische Psychologie sehr wichtige Institution war ja seinerzeit auch die „Gesellschaft für Psychologische Morphologie“ (GPM). Wie war denn da so der Kontakt oder gab es da einen Kontakt? Hat die GPM sich auch dafür engagiert, dass die Zwischenschritte sich weiterentwickeln konnten?
Schulte: Als Institution – d.h. jenseits Einzelner, die weiterhin als Autoren aktiv waren – eher weniger, aber das ist ein eigenes Kapitel. Darüber können wir gerne ein anders Mal sprechen. Hier nur so viel: 1993 war mit der Emeritierung Salbers an der Uni absehbar Feierabend für die Morphologie an der Universität zu Köln. Zwar hatte Dirk Blothner, bis Groeben dann berufen wurde, eine Lehrstuhl-Vertretung inne und auch Kollegen wie Endres oder Domke boten weiterhin Veranstaltungen an, aber aus Sicht der Mainstream-Kollegen war man sehr erfreut darüber, dass es mit dem Spuk ‚Morphologie‘ bald vorbei sein würde. Wir – insbesondere Stephan Grünewald und ich – haben zwar versucht, u.a. durch eine großangelegte Unterschriften-Aktion (dem ‚Kölner Appell‘ mit ungefähr 1.500 Unterschriften) und einer Eingabe im Düsseldorfer Wissenschaftsministerium die Nachfolge Salber in seinem (?) und unserem Sinne zu regeln – und dafür kam ja ‚nur‘ Heubach in Frage …
(… in dieser Singularität eines der großen und gravierenden Versäumnisse von Salber, aber er tat sich sehr schwer damit, wenn Kollegen – und wohl erst recht -innen – sich in seiner unmittelbaren Nähe allzu sehr entwickelten und an seine ‚Größe‘ aufzuschließen drohten. Wer damit nicht zurecht kam, hat sich nie mit Salber offen auseinander-gesetzt, oder gar mit ihm gekämpft, sondern geräuschlos in aller Stille verbschiedet. Nicht ohne Grund gab und gibt es in ‚der‘ Morphologie auch keine Abspaltungen oder, Trennungen oder Häresien wie etwa bei der Psychoanalyse. Obwohl Salber selber, hätte er damals zu Zeiten Freuds gelebt, sicher einer der ersten gewesen wäre, die wie Adler, Jung o.a. einen ‚eigenen Laden‘ aufgemacht hätten. In einer seiner Vorlesungen über ‚die Entwicklung der Psychoanalyse Sigmund Freuds‘ widerfuhr Salber einmal eine geniale Fehl-Leistung: ‚Wo Er war, soll Ich werden‘. In Sachen ‚Genialität‘ kann Salber es sicher mit den ganz Großen seines Fachs und darüber hinaus der Geistesgeschichte aufnehmen. Aber er hatte eben auch – wie alle – seine Untiefen, Schwächen und Macken.)
… und dessen Berufung drohte ganz furchtbar schief zu laufen und letztlich hat auch die dafür einberufene Berufungskommission der Fakultät letztlich durch eine grenz-kriminelle Nacht&Nebel-Aktion dafür gesorgt, dass der ‚Kelch‘ Heubach verhindert wurde. Seitdem ist mein Glaube an gewisse akademische Ideale (‚Freiheit in Forschung und Lehre‘) gründlich wie nachhaltig erschüttert. Auch im Wissenschaftsbetrieb geht es in erster Linie um Macht, um Seilschaften und Pfründe. Und es gilt – wie auch in der ‚freien‘ Wirtschaft – die Regel: ‚Nur Erstklassige stellen Erstklassige ein. Zweitklassige bevorzugen Drittklassige.‘ Aber wie gesagt: That‘s another story.
Aber da unsere Bemühungen in Düsseldorf nicht fruchteten – das Ministerium hätte uns sogar, wenn die formalen Voraussetzungen (= ‚strukturelle Relevanz der Morphologie‘ aufgrund eines entsprechenden Gutachtens) gegeben gewesen wären, wohlwollend unterstützt – wurde halt N. Groeben aus Heidelberg nach Köln berufen (dessen ‚moralin-triefende‘ Vorlesung im Zuge der Ausschreibung für die ‚Nachfolge‘ Salbers über Süskinds ‚Parfüm‘ die Kunsthistorikerin in der Berufungskommission beim Verlassen des Hörsaals mit den Worten kommentierte: „Der hätte sich mal lieber für einen Theologie-Lehrstuhl bewerben sollen.“). Aber Groeben sollte es nun mal sein – eine Neu-Ausschreibung des Lehrstuhls im Sinne ‚der‘ Morphologie haben ‚die‘ (daran beteiligten) Morphologen un-dank der Benennung eines un-passenden Gutachters für das vom Ministerium geforderten Gutachten (Lutz von Rosenstiel statt Walter Bungard) dann einmal mehr selbst vermasselt –, und damit war klar, da muss jetzt was passieren. Was machen wir denn nun? Zwar hatten wir uns schon 1991 im kleinen Kreis während einer Tagung im Schwarzwald darüber unterhalten, wie es denn nun nach der Emeritierung Salbers und dem drohenden Ende der Morphologie an der Uni mit ‚der‘ Morphologie weitergehen könnte, und dabei kam auch die Idee auf, im außer-universitären Bereich einen Verein zu gründen, der sich dann eben zwei Jahre später als GPM (‚Gesellschaft für Morphologische Psychologie‘) an einem Samstag noch in einem Hörsaal an der Uni konstituierte. Aber auch das mit dem ‚Vermasseln‘ ist eine weitere – typische, d.h. überaus bezeichnende – Geschichte aus der Historie ‚der‘ Morphologie (die ich in ‚Mein Salber‘ näher geschildert habe). Hier nur in Kürze: Die Überschrift des 2. Kapitels aus Freuds Schrift „Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit“ – nämlich „Die am Erfolg scheitern“ – könnte man, zumindest für einige Unternehmungen ‚der‘ Morphologie dahingehend variieren, dass hier der Miß-Erfolg gar manchmal auf seltsam-prächtige Weise gelingt. Aber wer weiß, wozu solche Un-Fälle oder Fehl-Leistungen wie die Ereignisse, die parallel zur GPM-Gründungs-Versammlung an jenem Samstag-Morgen in einem eiligst wie eigens zusammen-berufenem kleinen Kreis vonstatten gingen, auf lange Sicht nicht doch ‚ihr Gutes‘ hatten. Denn wenn ‚die‘ Morphologie an der Uni hätte bleiben können, dann säßen wir sehr wahrscheinlich heute nicht hier.
Fitzek: Dass unser Kongress „Wirklichkeit als Ereignis“ in etwa zeitlich mit der Gründung der GPM zusammenfiel, führte jedenfalls nicht dazu, dass über das Verhältnis von Zeitschrift und ‚Gesellschaft‘ diskutiert wurde. Wenn es eins gab, war das vermittelt über das, was ‚die‘ Morphologie gerade macht(e). Morphologen brauchten einen Verein, in dem sie sich nach dem Verlust einer starken Stellung an der Uni organisieren konnten, und sie brauchten umso mehr ein zuverlässiges Publikationsforum.
Schulte: Ja, und das konnten die Zwischenschritte noch über ein paar Jahre nach Gründung der GPM auch (gewähr-)leisten. Die GPM hat dann ab 1994 ihren Betrieb aufgenommen, aber es zeigte sich recht schnell, dass ein solches Unternehmen in seinen Anfängen nach all den langen Jahren des Instituts als Lehrstuhl II mit diversen Hypotheken belastet war, die man nicht so schnell beheben bzw. aus der Welt schaffen konnte. Auf der ersten GPM-Tagung in Bad Honnef hat sich der erste 1. Vorsitzende der GPM, Dirk Blothner, in seinem Vortrag sehr zu Recht drüber beklagt, dass eben dieses Vakuum, was damals mit dem Ende des Instituts entstanden war, von vielen Leuten dazu genutzt wurde, jetzt mal ein bisschen aufzumüpfen, rumzumeckern und vieles – auch mit Blick auf die GPM quasi als Nachfolgerin des Salber-Lehrstuhls in Frage zu stellen und zu kritisieren. Diese Vor(be)halte waren auch z.T. recht direkt an Dirk Blothner gerichtet – zumindest fühlte er sich angesprochen –, und er wehrte sich u.a. dadurch, indem er in seinem Vortrag, die später als ‚Watschenmann-Rede‘ in die Geschichte (der Morphologie) einging, ausführte dass er nicht vorhabe, sich in diese Wiener-Prater-Figur-Rolle (auf Deutsch: ‚Prügelknabe‘, s. Google) drängen zu lassen. In dieser Phase wurden eben auch all der Unmut, die Ängste und die Frustrationen mal ausgesprochen oder zumindest einmal angedeutet, die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte im Kreise der Morphologen aufgestaut hatten – auch in Form kleinerer Aufstände, wie in solchen Umbruchzeiten durchaus üblich –, aber das Interessante war und ist, dass dererlei Aufrührigkeiten und Revöltchen in den Zwischenschritten nie thematisiert, geschweige denn behandelt oder ausgetragen wurden. Zwar gab es eine Reihe von GPM-Zusammenkünften – über Jahre bis 2014/15 ja auch noch unter Mitwirkung von W. Salber – in denen es um die Gegenwart und Zukunft der Morphologie ging, aber viel aufgearbeitet oder verändert wurde da(durch) – obwohl man über ‚so was‘ bis in die Gegenwart hinein v.a. mal in aller Öffentlichkeit sprechen müsste – nicht. Vergangenheiten können zwar nicht ‚bewältigt‘, sollten aber behandelt werden. Auch damit tut sich ‚die‘ Morphologie (bislang) recht schwer. Ich kann mich erinnern, dass Wolfram Domke, schon lange vor Salbers Tod (2016) darauf hingewiesen hat, dass ‚der‘ Morphologie nach Salbers Tod evtl. wohl ein wildes ‚Hauen und Stechen‘ um Erbe und Nachfolge ‚ins Haus‘ stehen werde. War aber – soweit ich das mitbekommen habe – ebenfalls nicht und wäre mal ein Thema für demnächst auf Zwischenschritte online. (Nicht ‚das [kein]Hauen&Stechen‘, aber sowohl die Geschichte ‚der‘ Morphologie als auch deren Zukunft bieten reichlich ‚Stoff[e]‘, über die man sich einmal offen[siver] verständigen könnte, sollte und müsste. Eigentlich …)
Giebel: Das ist das Stichwort: Zurück zu unserem eigentlichen Thema. Dazu mal allgemein nachgefragt: Wie hat sich denn der Aufbau und die Struktur der Zwischenschritte über all die Jahre ihres Erscheinens entwickelt und sicher auch verändert?
Fitzek: Das war relativ früh, dass sich das herausgebildet hat und ist auch erstaunlich konstant geblieben. Dass es Hauptartikel gibt und daneben die ‚Blickpunkte, also oft weniger umfassende und deshalb leichter lesbare Artikel, hat sich schnell bewährt, daneben Rezensionen, Ankündigungen usw. Damit haben wir natürlich auch die Idee verfolgt, anderes aufzugreifen und auch mal jemanden zur Sprache kommen zu lassen, der aus einer anderen Ecke kommt oder einen Stil pflegt, mit dem die Redaktion eher Mühe hat. So wurde der interne Einigungsprozess leichter, denn um die Qualität der Hauptartikel wurde z.T. hart gerungen – übrigens auch mit den Autoren. In der Redaktion hatten wir den Running Gag, mal ein Heft herauszugeben mit dem Untertitel: Was unseren Lesern erspart geblieben ist!
Schulte: Über ein paar Veränderungen haben wir ja bereits gesprochen, Vortexte, Bild-Konzept, Rubriken (eingestellt z.B. ‚Nachrichten und Rezensionen‘ [war zu aufwändig und mühsam] oder neu: ‚Bildende Kunst [dank Signe Krichel und Gabi Rauch] über Jahre hinweg sehr ansehnlich), Cover-Gestaltung und Layout (mit Malzkorn hatten die Zwischenschritte, nochmals betont, sicher ihre gestalterische Blütezeit). Eine Zeitlang haben wir in der Redaktion auch mal darüber diskutiert, künftig bei passender Gelegenheit oder gar durchgehend Themenhefte zu machen. Aber abgesehen von fünf Ausgaben, einmal anlässlich der Tagung „Psychologie nach Nietzsche“ im ‚Asiatischen Museum‘ am ‚Aachener Weiher‘, dann mit Themenschwerpunkt ‚Medienwirkung‘, ‚Kulturkrisen‘ oder später einem Heft über Alltags-Figurationen (sogar mit eigens für die Artikel von einem Kölner Künstler angefertigten Zeichnungen) ist die Organisation und das Gemeinsamkeiten-Stiften unter Morphologen jenseits solcher Zentren wie Psychologisches Institut II oder den privatwirtschaftlichen Unternehmungen eine sehr mühsame Angelegenheit. Morpholog(inn)en sind in der Regel Einzelkämpfer:innen oder Kleingruppen-Akteure und tun sich schwer mit räumlich-zeitlich übergreifenden ‚gemeinsamen Werken‘. Die Morphologie ist keine ‚Bewegung‘ (wie etwa die Psychoanalyse), es braucht jenseits besagter Kleingruppen auch hier kleinere oder größere Führungsfiguren – das hatten wir ja auch bei den letzten Heften mit den Herausgeberschaften. Wohl wie so manch‘ anderes auch ein Nachlass von Wilhelm Salber, der die Kultur ‚der‘ Morphologie ja nun über Jahrzehnte geprägt hat und dessen Prägung sicher in vielem – wenn auch in manchem gewandelt – bis in Gegenwart und Zukunft nachwirkt.
Lange Rede…: Was die Struktur bzw. die Komposition der Artikel in jeder Ausgabe betrifft, so haben wir uns immer an einer der Stärken der Morphologie orientiert, nämlich ein weites Spektrum an Themen und Wirklichkeits-Bereichen in Alltag und Kultur behandeln zu können. Ein Konzept, das ja auch dem Einzelgängertum der Morphologen entspricht. ‚Die‘ Morphologie ist ein Allrounder! – bis hin, dass man dabei auch gerne um sich kreist und ihre ‚Außen‘-Wirkungen besonders in akademischen Kreisen eher überschaubar geblieben sind. (Ein Namensvetter von mir – ein Philosophieprofessor an der Uni Köln namens Günter Schulte – hat schon in den 70er Jahren mal gesagt, er werde Salber erst dann lesen bzw. überhaupt ernsthaft zur Kenntnis nehmen, wenn er mal in anderen [‚kreis-freien‘] Büchern zitiert werden würde – ein bis in die Gegenwart eher seltenes Ereignis.)
Fitzek: Natürlich fallen Texte letztlich auf die Autoren zurück, aber für das redaktionelle Geschehen war die Frage wichtig: Was wird überhaupt zum Artikel? Und kommt dann auch auf den Deckel – d.h. vorne auf den Titel – drauf? Wie bevorworten wir die Artikel – möglichst mit unseren eigenen Worten? Darum wurden wirkliche Kämpfe geführt. Auch das Bildkonzept wurde heiß diskutiert: Lassen wir die Autoren selbst bebildern, oder sehen wir das als unsere Sache an? Wir haben uns dann für ein Konzept für das ganze Heft entschieden, also die eigentliche Redaktionsarbeit. Die besteht nicht darin, Manuskripte entgegenzunehmen und in den Druck zu geben, sondern in Akquise, Begleitung, Korrektur von Texten, Komposition des Heftes, Schreiben von Vortexten, Finden von Bildern, Diskussion des Titels. Das war harte Arbeit, und das war auch unser Anspruch.
Schulte: Eine wichtige Unterscheidung war die zwischen sogenannten ‚Hauptartikeln‘ und den ‚Blickpunkten‘. Hauptartikel basierten auf umfassenden empirischen Untersuchungen oder gründlicheren (Literatur-)Recherchen, in den Beiträgen der ‚Blickpunkte‘ konnte man ab 2/84 dann auch mal ‚persönliche‘ Anmerkungen oder morphologisch gestützte Überlegungen zu diesem oder jenem aktuellen Thema wie ‚Dinofieber‘, Formel 1 unterbringen oder Hermann Rorschach zum 100. Geburtstag gratulieren. Ganz wichtig war ab Ausgabe 2/88 dann der Schritt, über eine ganzseitige Abbildung zu Beginn eines Artikels hinaus auch innerhalb der Beiträge mit Bildern zu arbeiten. Ich kann mich noch recht gut erinnern, dass ich für den Artikel „Spiegel-Bilder des Seelischen“ von Gloria Domke an die 80 Fotokopien von Bildern in unterschiedlichen Formaten zusammengetragen hatte – also ganz viele Abbildungen, kleinteilig und zunächst eher illustrativ –, die Wolfram Domke und ich beim besagten Papier-Layout ausgesucht, mit der Schere zerschnibbelt und auf jeder zu erstellenden Seite eingeklebt haben. So, und dann kam später zum Glück Signe Krichel in die Redaktion, hat das Ganze zu einem Bild-Konzept ausgebaut – und fortan wurden auf diese Weise die jeweiligen Themen bzw. Gegenstände, um die es in einem Artikel ging, auf zwei Ebenen vorgestellt und behandelt: einmal im Medium der Sprache als Text zum anderen in&mit Bildern („Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ [Le Monde]). In der Form ist das für eine psychologische Fachzeitschrift einzigartig, ist aber wie bereits Karl Valentin anmerkte („Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.)“ mit einem großen Aufwand verbunden, den wir auch künftig bei der Online-Ausgabe betreiben wollen, was auch noch weiteren Vorbereitungen bedarf und deshalb auch erst mit der Zeit entwickelt werden wird. Denn bereits das Auswählen der Bilder ist ‚ein Kapitel für sich‘, welches man zwar auch gemeinsam mit den Autoren angehen kann, was aber, da die Bilder eben über eine bloße Illustration hinausweisen wollen&sollen, eine gewisse Kompetenz erfordert, die – zumal bei den ersten Versuchen – nicht jedem Autor mitgegeben sein dürfte. Krichel hat eine solche Auswahl dann auch zunehmend eigenständig betrieben, z.T. in Abstimmung mit den Autor(inn)en, häufig aber auch ohne Absprachen, um zu vermeiden, dass diese dann in weitere zusätzliche Diskussionen ausarteten. Ich weiß gar nicht mehr, ob Salber sich anfänglich auch dagegen gesträubt hat, er war ja solchen Fremd-Bestimmungen gegenüber sehr empfindlich. (Günter Everhartz hat ihm mal während seiner Zeit als ‚studentische Hilfskraft‘ zwar im Auftrag des Instituts, aber in der ihm zueigen eigen-willigen Manier, einen Zigarren-Abschneider zum Geburtstag geschenkt, der musste sofort umgetauscht werde
n.)
Fitzek: Salber hat sich bei der Bebilderung anfangs gewehrt, bis er gemerkt hat, es hat keinen Zweck.
Schulte: Das war dann wohl ein Beispiel dafür, dass selbst Salber, wenn er mit expliziten Entschiedenheiten oder fertigen Werken konfrontiert war und nach 1-2 Versuchen einsah, dass weiterer Widerstand zwecklos gewesen wäre – zumal ihn die für seinen Beiträge ausgewählten Bilder wohl auch überzeugt haben. Und wie bereits erwähnt: Wir hatten ganz früher mal eine Rubrik mit Rezensionen, die gab es auch in den ersten Heften immer mal wieder, aber das war ein sehr mühsames Geschäft, weil unsere Leser bis auf ein, zwei Mal von sich aus nichts einreichten. Von Dir Herbert gibt es ein paar Besprechungen, aber das hat so richtig nicht gegriffen und es wäre sehr, sehr anstrengend gewesen, das irgendwie am Laufen zu halten. Also haben wir das nach ein paar Ausgaben wieder eingestellt. Und dann gab es ja auch die Rubrik ‚Nachrichten und Ankündigungen‘ – die war ebenfalls überproportional arbeitsintensiv und wurde gestoppt, weil immer dann, wenn es bei den Morphologen ‚auf‘s Ganze‘ geht oder auf mehrweg-kommunikative Gemeinsamkeiten ankommt, wird es heikel. Etwas schräg und zugespitzt formuliert: ‚Die‘ Morphologie als&in Gruppe(n) ist ebenfalls ein Kapitel für sich. ‚Strange things happen hier‘ – oder manchmal eben auch nicht. So manche Projekte oder Vorhaben wurden nicht weitergeführt, versandeten in aller Stille oder wurden trotz bekundeter Absichten erst gar nicht auf die Schiene gebracht. (Ich hatte mal vor über dieses Thema in Anspielung auf ein Buch von Peter Scholl-Latour über den Vietnam-Krieg [„Tod im Reisfeld“] einen Artikel mit dem Titel ‚Tod im Vorfeld‘ zu schreiben, aber auch dazu ist es bezeichnenderweise nicht gekommen.)
Giebel: Dass ‚die‘ Morphologen eine recht eigenartige Spezies sind oder sein können, davon habe ich schon öfter gehört.
Schulte: Um in diesem Punkt nicht missverstanden zu werden (wir denken ja gerne auch a-personal): Also mit den Leuten einzeln kommst Du gut klar, keine Frage, mit sehr vielen – wie immer: nicht mit allen – kann man sehr ergiebig und auf hohem Niveau arbeiten, meist auch tri-lateral. Aber ab 4-5 oder gar als größere Gruppe wird es schwierig mit ‚der‘ Morphologie, weil da sehr schnell eine eigentümliche Dynamik aufkommen kann, die, wie es manchmal den Anschein hat, auf ein Scheitern-Lassen angelegt ist oder darauf, die Angelegenheit, um die es gerade gehen soll, solange zu verkomplizieren und zu verstrubbeln, dass man es besser gleich sein lässt oder bereit ist, 10 Jahre daran zu arbeiten. Zu Zeiten der Zwischenschritte hatte ich einmal die die Idee, ein T-Shirt mit der Aufschrift bedrucken zu lassen „Ist der Fortschritt in der Psychologie noch aufzuhalten? Ja! Zwischenschritte!“ und zum anderen spielte ich lange mit dem – ebenfalls dann nicht konkret ins Auge gefassten – Gedanken, im ‚Kölner Stadt-Anzeiger‘ eine Kleinzeige zu schalten ‚Nette Psychologie in gute Hände abzugeben. Gerne mit Auslauf.‘ … Das sollte in Zukunft auch alles mal anders werden. Denn ‚Gestaltenlehre‘ ist schließlich ‚Verwandlungslehre‘ (und nicht ‚Verwaltungslehre‘).
Giebel: Jetzt sind wir ja hier zusammengekommen, weil wir ja ein beeindruckendes Jubiläum feiern von 40 Jahren. Und bevor ich jetzt versuche, unseren Blick in die Jetzt-Zeit zu wenden, würde mich aber doch noch mal von zwei so gestandenen Zwischenschritte-Mitgliedern sozusagen rückblickend interessieren, gibt es so was wie den einen Highlight-Moment, die Highlight-Ausgabe, das Highlight-Erlebnis, wenn man jetzt mal die 40 Jahre insgesamt betrachtet? Oder gibt es da so den besonderen Moment, an den man gerne zurückerinnert?
Fitzek: „Wirklichkeit als Ereignis“ war der Höhepunkt, 1992 als Kongress wie auch 1993 als Publikation, da gibt es keinen Zweifel. Und es war nicht nur der Höhepunkt im Sinne von ‚Glanz und Gloria‘, sondern auch der Höhepunkt nach Krisenerfahrung und Eskalation – bis zum letzten Moment bedroht vom totalen Scheitern (s.o.).
Giebel: Und was war der Höhepunkt daran?
Schulte: Was war der Höhepunkt? In dieser Größenordnung – dreitägig, mit fünf großen Vorträgen, ganz vielen Workshops quer Beet durch alle Anwendungen (s. die beiden Bände 1 und 2/1993), 300 Teilnehmer:innen und einer abschließenden, erlesen besetzten Podiumsdiskussion, die allerdings völlig in die Hose ging, weil die Moderatorin (eine Journalistin vom WDR, die H.-J. Berk uns empfohlen hatte) entweder zu blöd oder nicht willens war, das umzusetzen, wie wir sie vorher gebrieft hatten – war „Wirklichkeit als Ereignis“1992 als Ereignis der erste ‚große‘ Morphologen-Kongress im Kölner ‚Maternushaus‘ anlässlich des 10jähren Bestehens der Zwischenschritte. Zwar gab es vorher (1984) schon mal eine Tagung (= einen Tag) der WGI („Wissenschaftliche Gesellschaft für Analytische Intensivberatung“, s. gleichnamiges Buch), aber das war eher eine überschaubare, fast schon geschlossene Veranstaltung an der Uni im gewohnten Hörsaal 369, und man hat sich da eher gegenseitig etwas vorgetragen. Nun will ich nicht behaupten wollen, dass auf unserem Kongress wirklich die ‚große Welt‘ zugegen war, aber so völlig ‚unter uns‘ waren wir nicht, denn es gab auch ein paar Workshops, die von ‚der‘ Morphologie allerdings recht nahestehenden Menschen geleitet wurden. Auch unvergessen: ein großes Kunstwerk, auf dem Manfred ‚Schmal‘ Boecker (seinerzeit Perkussionist bei BAP) unter dem Titel „Du kannst nichts falsch machen“ Freunde und Bekannte eine Rorschach-Tafel mit der Aufgabe vorgelegt hatte, diese zeichnerisch frei nachzugestalten – gleichermaßen eine „sehr schöne Arbeit“, zu deren Vernissage auf dem Kongress auch Wolfgang Niedecken mal reinschaute. Also durchaus mit Prominenz. Anfänglich hatten wir auch versucht, den damaligen Kölner Regierungspräsidenten Antwerpes für eine ‚Schirmherrschaft‘ über den Kongress zu gewinnen, aber der hatte – wohl nach Durchsicht des ja imposanten Kongress-Programms mit dem großen Spektrum an Themen – mit der Begründung abgelehnt, ein solcher Schirm sei „zu groß“ für ihn.
Fitzek: Im ‚Maternushaus‘ bzw. in der ‚Karl-Rahner-Akademie‘ hat danach auch ja so manches GPM-Treffen stattgefunden.
Schulte: „Wirklichkeit als Ereignis“ – jetzt muss ich erst mal eingestehen – war als Titel geklaut (auf der Suche nach einem passenden Slogan für das Ganze zu Beginn der Planungen, war mein Blick auf ein Buch mit diesem Titel gefallen, was ich zwar nie gelesen hatte, das aber bei mir mit markant orange-farbenem Rücken im Regal stand), ansonsten jedoch schon mal von der Größe her und der zeitlichen Ausdehnung her in der Form noch nie dagewesen. (Nach fast drei Jahrzehnten Morphologie an der Kölner Uni ab 1964 allerdings schon seltsam-bezeichnend genug.) Und im Verlauf dieser drei Tage haben ‚wir‘ (bzw. die Vortragenden und Workshoppenden) im Sommer 1992 – erneut nach einjähriger Vorbereitung in einem eigens erweiterten Komitee – „Das Spektrum einer Psychologie von Alltag und Kultur“ (Untertitel) einmal aufgefächert und zur Aufführung gebracht: Markt und Medien – Kunst und Behandlung – Alltag und Kultur, und alles, das glaube ich, kann man mit ‚Fug&Recht‘ behaupten, was in ‚der‘ Morphologie Rang und Namen hatte, waren zugegen – zumal im Foyer des Maternushauses auch alle großen Morphologischen Institute mit einem eigenen Stand vertreten waren (IFM Köln, IFM Freiburg, Evolog und das KIAW [„Kölner Institut für Angewandte Wirkungsforschung“ – etwas kleiner und leider nicht sehr langlebig]). Und last but not least: 300 (zahlende) Besucher – Gesamtetat: um die 60.000 DM.
Fitzek: Ich musste spontan jetzt auch an die Ringvorlesung „Was ist Morphologie?” denken, die im vorletzten Semester hier in der Hochschule virtuell stattgefunden hat und auch erstaunlich gut besucht war: 160 Personen. So etwas macht Mut, das sind Highlights für die Morphologie, die solche Zahlen mobilisieren kann.
Schulte: Wenn das Angebot stimmt, ist eine solche Nachfrage nicht nur ‚denk-‘ , sondern sogar machbar. Auch die Hunderte an Studierenden, die seit 2005 ‚Wirtschaftspsychologie‘ mit morphologischem Schwerpunkt im Angebot zunächst an der UMC und dann ab 2010 an der BSP studieren und studiert haben – im kommenden Sommersemester startet die 30. Generation – kann sich, denke ich, ‚sehen lassen‘.
Giebel: Das ist eine schöne Überleitung, denn jetzt steuern wir auf ein nächstes Highlight hin: am 25. November findet im Anschluss an den mittlerweile zum vierten Mal stattfindenden ‚Tag der Kulturpsychologie‘ (Veranstalter ‚Gesellschaft für Kulturpsychologie
[http://kulturpsychologie.de/] – Sprecher der AG Nachwuchsförderung übrigens: Prof. Dr. Herbert Fitzek) an der BSP ein kleiner Empfang statt, auf dem die ‚neuen‘ Zwischenschritte online vorgestellt und freigeschaltet werden.
Schulte: ‚Relaunch‘ heißt das dann wohl.
Giebel: Relaunch – könnte man sagen. Ähnlicher Ansatz, neues Medium?
Schulte: Das weiß man noch nicht so genau bzw. das wird sich zeigen. Was ‚man‘ weiß ist: Wir – d.h. die Redaktion 2022 – haben natürlich einige Erfahrung und ‚Ahnung‘ in Sachen ‚redaktioneller Arbeit‘ und den Umgang mit Autor(inn)en und Artikeln. Aber was genau es bedeutet, ein solches Zeitschriften-Projekt nun online zu betreiben, das muss man sehen. Auch, wie wir die Möglichkeiten, die sich heutzutage digital bieten, nutzen können, ohne es zu übertreiben, bleibt abzuwarten bzw. auszuprobieren. Wir werden uns die notwenige Zeit und den erforderlichen (Frei-)Raum lassen, die Zwischenschritte auch digital laufend weiterzuentwickeln. In dieser Hinsicht ähnelt die aktuelle Situation der von 1981, als wir die Zeitschrift mit vier Leuten – allesamt noch Studierende – gestartet haben, die vom Zeitschriften-Machen null Ahnung hatten und die sich auch nicht gesagt haben, wir machen jetzt erst einmal ein paar Jahre Vorbereitung oder absolvieren, wo auch immer, vorab erst mal ein Praktikum und dann legen wir los. Und nun ‚schau‘n wir mal‘, was online geht und v.a. wie es sich mit dem Artikel-Schreiben über die Jahre gewandelt hat. Da ist die Lage ja eher komplexer geworden: ‚Alt‘-Morpholog(inn)en, Praktiker:innen bundesweit gestreut, Menschen aus den zahlreichen Instituten und Beratungs-Unternehmen, Kölner, Berliner, Hamburger (im Besonderen, die hier studieren oder studiert haben) – die ‚Gemeinde‘ ist ja viel größer geworden, man müsste mal eine Morphologie-‚Volkszählung‘ machen ….
Wir starten am 25. November mit 16 Artikel, haben dann noch etwa 15 bereits in petto und sind gespannt, was dann an Beiträgen eingereicht wird und wen wir zum Schreiben anregen können. Und natürlich: Wie viele Klicks, Links und Likes wird es geben. Ein Riesen-Vorteil gegenüber früher besteht ja darin, dass wir keinen Druck mehr (vor-)finanzieren müssen – ich meine mich zu erinnern, dass eine Ausgabe später dann alles in allem so um 10.000 DM gekostet hat – wir müssen keine Kartons mehr schleppen und der wohl wichtigste Unterschied zu damals besteht darin, dass man die Beiträge, vorausgesetzt wir kriegen das mit den Suchmaschinen und den Recherche-Möglichkeiten einigermaßen gut hin, auch in der Inneren Mongolei lesen kann bzw. könnte. (Google bietet da ja so Weltkarten an, auf denen man verfolgen kann, wer von wo aus auf eine Seite im www zugegriffen hat.) Wir sind zuversichtlich und ich gehe mal davon aus, dass das funktioniert und: sich entwickeln wird. (Den Begriff ‚Entwicklungs-Versprechen‘ gibt es ja auch in der Morphologischen ‚Neurosen’lehre, dort allerdings ein wenig anders ‚konnotiert‘.)
Giebel: Erst mal technisch hat sich vieles verändert. Wir brauchen nicht mehr den Zufall, dass ein Vermieter eine Druckerei hat, sondern wir nutzen die ganzen technischen Möglichkeiten des Digitalen. Ich habe mir heute zu Beginn unseres Gesprächs eine kleine Notiz gemacht, nämlich dass die Gründung der Zwischenschritte durch eine studentische Initiative entstanden ist. Und wenn wir uns die Gründungs-Geschichten beim ‚Relaunch‘ betrachten, dann sehe ich da gewisse Ähnlichkeiten. Oder ist das ein falscher Eindruck?
Schulte: Dass also da mal vor einiger Zeit die Idee aufkam, das noch mal anzugehen mit einer Neuauflage der Zwischenschritte, das war etwa vor zwei Jahren. Und schon geht‘s jetzt auch schon los …
Giebel: Und ich habe auch in Erinnerung, dass es unter anderem auch die Impulse von Studierenden gab, dass es etwas Gebündeltes geben muss, um an morphologische Literatur, Studienergebnisse, Ausführungen, Essays in einer überschaubaren und handhabbaren Weise heranzukommen.
Schulte: Ja, das war vor zwei Jahren, da sprach ich mal mit Valerian Warmuth (damals auch noch Student) über dieses Thema, dann kam der Janis Warnke dazu und Du warst da, glaube ich, auch dabei. Ihr wart zwar im Unterschied zu uns damals in der Mehrzahl keine Studenten mehr, aber jung und mit Schwung. Es gab wohl auch erste Zusammenkünfte, die Sache nahm Form an und damals war für mich klar, als ich das erfuhr, da habe ich mich gefreut und mir gedacht, ja, gut so, viel Spaß, macht mal! Meine Zeitschriften-Jahre sind lange vorbei, jetzt ist die Jugend dran! Ich wollte diese ‚Neu-Auflage‘ zunächst aus einer gewisser Distanz, aber wohlwollend, – und bei Bedarf auch mit Tipps und altväterlichen Ratschlägen – begleiten. Und Du warst doch wohl auch ab und zu mal angesprochen und involviert.
Fitzek: Ich freue mich immer, wenn ich studentische Initiativen unterstützen kann
Giebel: Genau. Es hat im Team der neuen, aktuellen Redaktion in den letzten zwei Jahren mehrere Besetzungswechsel von Personen gegeben. Nach eingängiger Recherche zu den Themenfeldern ‚Open Access‘, ‚Interdisziplinarität‘, ‚Kooperation mit Verlagen‘ entwickelte sich die Idee, Dich Armin, ich sag‘ mal als Gründungsvater der ursprünglichen Zwischenschritte ebenfalls zu gewinnen und später auch wieder umfassender einzusteigen. Wir haben uns auch lange Gedanken über den Namen der Zeitschrift und sind dann aber wieder zum ursprünglichen Namen zurückgekehrt. Nach Deiner Zusage bist Du schnell zur Führungs- und Leitfigur geworden. Mittlerweile hat sich die Redaktion ausdifferenziert und hat durch verschiedene Aufgaben ihre Bereiche abgesteckt. Es hat auch eine ganze Weile gedauert, um einen Artikel-Pool zusammenzubekommen. Auch Fragen wie: Kriegen wir die ‚anders‘-Hefte von der WSG? Dürfen wir die mitbenutzen? Gibt es noch andere Varia-Bände von Wilhelm Salber? Wir waren also in den letzten zwei, drei Jahren sehr fleißig. Und nun hoffen wir mit dem offiziellen Startschuss am 25.11.22 noch mal einen Push in die ganze Angelegenheit zu bekommen.
Schulte: Davon gehe ich aus. Und ich bin, wie gesagt, diesbezüglich auch ‚guter Dinge‘, weil wir das als Zuspruch in der Redaktion die letzten Monate über ja auch erfahren haben, denn wir sind ja in der aktuell-finalen Zusammensetzung der Redaktion nun mittlerweile ebenfalls schon seit längerem mit den Vorbereitungen befasst und merken, da passiert was. Manchmal könnte man sich zwar vorstellen, da könnte noch ein bisschen mehr passieren. Aber ich habe die Hoffnung bzw. bin eigentlich davon überzeugt, dass, wenn das ‚Ding‘ wirklich am 25. wirklich auf der Leinwand erscheint und man dann auch erste Reaktionen mitbekommt und sieht, das gibt es, da kann man sich alles Mögliche anschauen, anhören, herumklicken und runterladen. Dass das Ganze dann noch mal einen neuen Impuls erfährt. Der 25. ist dann doch wirklich noch mal eine Zäsur und schlägt das nächste Kapitel der Zwischenschritte auf.
Giebel: Ja, mein Gefühl ist ähnlich wie seinerzeit an der Uni Köln, dass erst mal ein kleiner, eher erlesener Zirkel Zugang hat und dass sich jetzt dieser ‚neue‘ Kreis – was die Initiative einer Redaktion betrifft – ja erst mal hier im in Berlin Kontext der ‚Business und Law School‘ ergeben hat. Aber wir haben ja schon auch den Anspruch – und da sind die, wie heißt es so schön: SEO Marketingmaßnahmen bei Google sehr hilfreich –, um auch klassischerweise bei Recherchen zu bestimmten Themen und psychologischen Artikeln, auch außerhalb der Hochschule, im World Wide Web zukünftig gefunden zu werden und darüber vielleicht doch noch mal eine höhere Popularität zu erreichen, als sich die nächsten 50 Jahre auf unseren, doch immer noch recht überschaubaren kleinen Kreis zu beschränken.
Schulte: Diese Vorstellung haben wir schon seit 40 Jahren.
Giebel: Dann haben wir ja das komplette Erbe übernommen.
Fitzek: Ja.
Schulte: Aber anders als damals ist gerade Herbert ja mittlerweile ein Viel-Reisender, der andauernd auf Kongressen, Tagungen oder für Workshops unterwegs ist. Und so male ich mir aus, dass er mal eine Anfrage aus ‚Ulan Bator‘ bekommt, da soll es ganz viele Universitäten geben, und er fährt dahin, klingt sich abends vom Hotel aus mal auf unser Portal ein und schwupps haben wir dann die Mongolei dabei. Denn da warst Du noch nicht.
Fitzek: Dort soll es allein in der Hauptstadt 400 Universitäten geben. Ulaanbaatar – da hätte ich eine Menge zu tun.
Giebel: Ja, wenn wir schon beim eher ausbreitenden Part dieses Gespräches sind, dann darf man ja auch mal nach Wünschen und Idealen fragen Was wünschen wir uns denn für die Entwicklung der neuen Zwischenschritte?
Schulte: Um auf diese Frage einzugehen, muss ich vorab noch kurz erläutern, wieso ich mich denn entgegen meinen ursprünglichen Absichten dann doch wieder mehr auf eine Neuauflage der Zwischenschritte eingelassen habe. Denn ich wollte mir dieses, ja zunächst von jungen Kollegen wieder auf die Schiene gesetzte Projekt eher aus einer nahen Ferne anschauen und Euch mal machen lassen. Und dafür, dass ich dann doch wieder ‚eingestiegen‘ bin – frei nach Mephistopheles im Goetheschen Faust ‚’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster: Wo sie hinausgeschlüpft, da müssen sie hinein. Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte‘ –, dafür mag es sicherlich einige Gründe geben, aber der für mich bedeutsamste war, dass über all die Jahre hinweg an der BSP in ‚unseren‘ Studiengängen (Bachelor und Master) mehr&mehr Abschluss-Arbeiten geschrieben worden waren, die es verdienten, publiziert zu werden bzw. werden zu können. Und dieser Umstand korrespondierte umgekehrt proportional mit der Lage der Lage um die Jahrtausendwende an der Uni Köln, wo die Morphologischen Diplom-Arbeiten ja merklich zum Auslauf-Modell wurden und die Artikel-Lage auch sonst aus besagten Gründen enger wurde. Letzteres wird man künftig abwarten müssen, veröffentlichungswerte Abschlussarbeiten, die nach wie vor außer in einem ‚Eigenverlag‘ kaum eine Chance hätten, in einer Fachzeitschrift zu erscheinen, aber seit einiger Zeit sehr wohl. Also: Aan het werk! Und eine solche ‚Motiv-Lage‘ ist keineswegs selbstlos, bloß unterstützend, denn es macht mir immer noch Spaß, andere ans Arbeiten zu bringen. Also dieses Aufkommen an lesenswerten (potentiellen) Artikeln, das hatte sich in den letzten Jahren an der BSP für mich erkennbar entwickelt und so wuchsen Wunsch und Interesse, dass diese Arbeiten nicht spurlos in einem Regal oder in unserem Archiv an der Hochschule verschwinden, sondern da was draus zu machen. Also ‚Bresgen-Bönner umgekehrt‘. So schließt sich ja auch ein Kreis oder wird zu nächsten Drehung als Spirale.
Giebel: Und da haben wir sozusagen zwei ganz schöne Benefits. Zum einen haben die Studierenden eine gebündelte Plattform, wo sie recherchieren können, wo so viele Texte für alte, aktuelle, zukünftige Artikel zu finden sind und gleichzeitig können sie selbst veröffentlichen, was wohl auch, denke ich, sehr attraktiv ist, sich die erste Veröffentlichung nach dem Studium auf die Fahnen schreiben zu können. Aber es ist aufwendig, die Autoren bei der Stange zu halten. Es ist aufwendig, die Artikel Korrektur zu lesen und für ein Artikelformat zu optimieren. Man hat teilweise 2,3,4 Durchgänge mit den Autoren und dann ist noch nicht mal ein Vorwort-Text von uns geschrieben. Wenn man sich dem Standard von damals anpassen möchte, dass man einen Einführungstext schreibt, dann gibt es auch noch einen zusätzlichen Arbeitsschritt. Also das ist einfach schon recht zeitaufwändig. Und da sollten sich auch alle Mitglieder der Redaktion, die bisher Mitglieder sind und Mitglieder bleiben wollen, dessen bewusst sein, dass das auch mit Arbeit und Zeit verbunden ist. Und sobald die ganze Vorarbeit jetzt endlich mal steht und wir den roten Startknopf drücken, beschränkt sich die Arbeit dann auch tatsächlich auf das Ausarbeiten von Artikeln und auf das Einstellen von Artikeln ins Netz. Und ich hoffe, dass das allen Beteiligten weiterhin Freude bereiten wird.
Schulte: Das war jetzt ein Appell an das Durchhalte-Vermögen aller Beteiligten. Und als offiziell bestallter Nachwuchsförderer bei der „Gesellschaft für Kulturpsychologie“ müsste eigentlich ja auch Herbert (Fitzek) wieder mitmachen. Also Herbert: Dieses Mal musst Du nicht so lange warten wie 1986, die Tür für Dich ist Tag und Nacht geöffnet.
Aber es geht bei den Zwischenschritten online ja nicht ‚nur‘ um den Morphologischen Nachwuchs, denn in den letzten Jahren hat es eine Reihe von Tagungen (der WSG), Veranstaltungsreihen an der BSP (‚students meet experts‘) oder eben die Ringvorlesung „Was ist Morphologie“ im Sommersemester ‘21 gegeben, die haben wir aufgenommen (Audio und Video, s. Archiv), transkribieren und redigieren lassen (wie gesagt: andere ans Arbeiten…) und wir starten am bereits mehrfach erwähnten 25. mit den fünf Vorträgen von Blothner, Zwingmann, Domke, Heubach und Lönneker, die auf der Letzten WSG-Tagung „Sinn – Bilder – Sinn“ an der BSP gehalten worden sind. Fortsetzungen früherer Veranstaltungen werden folgen. Und dann hat es ja auch noch ein paar schon vorliegende Beiträge von anderen ‚Alt‘-Morphologen und schließlich:
Ganz ausdrücklich und in diesem Sinne seien alle, die mit dem Gedanken ‚spielen‘, mal ‚etwas‘ zu schreiben oder die bereits etwas für die Zwischenschritte In-Frage-Kommendes verfasst haben, ausdrücklich wie herzlich eingeladen, sich mit uns in Verbindung zu setzen oder gleich was zu schicken (‚unverlangt eingesandt‘ ist willkommen).
An dieser Stelle bzw. bei dieser Gelegenheit auch noch ein paar Anmerkungen zum Verhältnis der Zwischenschritte zu ‚anders‘. Wie Dirk Blothner – einer der Herausgeber von ‚anders‘ – mir neulich mitteilte, soll Ende des Jahres wohl die letzte Ausgabe dieser Zeitschrift erscheinen, und es gab auch schon früher leicht vorwurfsvoll-bedauernde Stimmen, dass dies in erster Linie mit der Wiedergeburt der Zwischenschritte zu tun habe resp. eine eher unliebsame Folge davon sei. Ich hoffe nicht! Denn was immer die Beweggründe der ‚anders‘-Redaktion auch sein mögen, die Zwischenschritte haben sich mit ‚anders‘ über diese in etwa zeitgleiche ‚Koninzidenz‘ weder einmal (‚offiziös‘) ausgetauscht, geschweige denn, dass wir das unsererseits vorgeschlagen, darum gebeten oder gar darauf gedrängt hätten. Aufgrund der Länge der Beiträge – bei ‚anders‘ ja eher kürzer, bei Zwischenschritte gibt es nach oben hin kein vorgeschriebenes Limit, d.h. die Artikel sind so lang, wie es gegenüber der Thematik bzw. der Lesbarkeit gegenüber angemessen ist – wären sich beide Zeitschriften auch nicht unbedingt in die Quere gekommen oder in Konkurrenz getreten – obwohl eine solche ja sogar das ‚Geschäft‘ beleben soll und andere psychologische Auffassungen durchweg mehrere Zeitschriften betreiben.
Giebel: Um vielleicht mal langsam zum Abschluss zu kommen, möchte ich noch fragen, was denn so besondere Wünsche oder Anliegen der neuen-alten Zwischenschritte sind?
Fitzek: Ich bin ja nicht Teil der Redaktion, aber für mich wäre wichtig und das gerade als Vertreter der Hochschule, dass Morphologie mit der Zeitschrift ihr wissenschaftliches Profil aufwertet. Dazu gehört einerseits, dass die Studierenden schon früh mitbekommen, ich kann meine Erkenntnisse auch mal festhalten, aber wo besonders auch die Leute, die weiterkommen und zum Beispiel promovieren wollen, austesten können und dokumentieren lernen, was Forschung ist. Hier gab es in der Morphologie eine große Lücke, und das hat sich jetzt bei vergangenen Promotionsprojekten als großes Problem erwiesen – dass die Promotion sozusagen die erste und einzige Veröffentlichung geblieben ist. Ich werbe natürlich dafür, dass engagierte Leute auf Kongresse fahren und auch anderswo mal einen Artikel unterbringen. Aber Zwischenschritte online könnten ein wirkliches ‚Übungs‘feld sein, und zwar nicht nur im spielerischen Sinne, weil es da ja auch Leute gibt, die gegenlesen, die kritisieren, die verbessern usw. Das wäre für die Morphologie als Wissenschaft ein sehr, sehr wichtiger Impuls, und insofern und besonders in der Hinsicht setze ich darin große Hoffnungen.
Giebel: Ja, schon mal danke dafür.
Schulte: Dem kann ich mich nur anschließen. Und was dann künftig aus den Zwischenschritten werden wird bzw. wie sich auch ‚die‘ Morphologie weiterentwickelt, bleibt einerseits abzuwarten – denn wie, ich meine, Hermann Rorschach seinerzeit mal sehr klug angemerkt hat, ist die Vergangenheit stets über-, die Zukunft hingegen immer unterdeterminiert; andererseits ist es an ‚uns allen‘ nicht nur ‚das Beste‘ aus ‚der‘ Morphologie zu machen, sondern die Vergangenheit nicht bloß fortschreiben zu wollen, da es hier doch auch noch den einen oder anderen Umgestaltungs-, Veränderungs- oder Optimierungs-Bedarf gibt, der auch in Zwischenschritte be- und ausgehandelt werden kann. Denn wie sagte einst Michael Schumacher für&zu alle(m), was voran und vorwärts kommen will: „Vorne ist immer Platz!“ (Es sei denn, man überrundet.) Und vielleicht können die Zwischenschritte auch online dazu etwas beitragen. (Immerhin waren und sind es ‚Beiträge‘.)
Wichtig auf jeden Fall wird&muss (auch) sein, dass ‚man‘ von den Erfahrungen, dem Wissen und dem Können, die&das wir ‚Alten‘ in die Jahre Gekommenen ja nun mal haben, dass wir das auch noch an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Und das geschieht sicherlich immer auch in Form von Texten. Denn das war damals – 1981 – ja das auslösende Problem, dass ‚die‘ Morphologie in ‚Forschung und (v.a.) Lehre‘ außer den nun ja recht exegese-, gewöhnungs- und einübungs-bedürftigen Artikeln und Büchern von Wilhelm Salber über eine mündliche Überlieferung im Rahmen einer konkreten Auseinandersetzung vor Ort hinaus ein paar mehr Literaturen ganz gut hätte gebrauchen können.
Dazu muss ich zum Abschluss doch noch eine letzte Geschichte loswerden: Ich habe vorhin darüber berichtet, dass ich mir ab Beginn der 80er Jahre – nachdem ich mit diesem Anliegen bei den damaligen Mitarbeitern Salbers zwar Gehör fand, aber keine Morphologischen Diplomarbeiten zu Gesicht bekam – diese schließlich im Prüfungsamt ausgeliehen habe. Und dann bin ich eine Zeitlang regelmäßig dorthin gegangen und habe mir jedes Mal nach Sichtung der dort angelegten Kartei fünf, sechs, sieben (Vor-) Diplomarbeiten ausgeliehen (was man – ‚in Haushaltmengen‘ – erfreulicherweise im Unterschied zu der Geheimnis-Bewahrungs-Kultur im ‚3. Stock‘ auch ohne Probleme konnte). Diese Arbeiten habe ich mir nach Interessenslage zum Teil kopiert, weil bei mir damals die kühne Idee aufgekommen war, meinen nächsten Urlaub (sechs Wochen) mit besagter Anita in Spanien zu verbringen und dort dazu zu nutzen, einmal zu Papier zu bringen, was ich mir damals unter ‚Was ist Morphologie‘ vorgestellt habe. Auslöser für dieses Unterfangen war ja der ebenfalls bereits erwähnte Gerd, der Biologe in der WG, der mir zunehmend mit seiner Fragerei ‚Was macht ihr da eigentlich in der Morphologie? Kannst Du mir das mal erklären?!‘ auf den Wecker ging.
Und so habe ich mir schließlich gesagt: Okay, Du fährst jetzt mal in Urlaub, lädst Dir den Kofferraum voll mit Kopien von Diplomarbeiten, Auszügen aus Morphologischen Dissertationen, die ebenfalls völlig unbeachtet in einem abgelegenen Winkel in der Bibliothek verstaubten, sowie einzelne Kapitel aus den wenigen Büchern, die es damals gab (keine Salber-Literatur!!), dann setzt Du Dich in Euer angemietetes Ferienhaus und schreibst mal so auf 20 Seiten ‚Was ist mit Morphologie, was habe ich davon verstanden? Wie stelle ich mir das vor?‘. Und mein Plan war, diese 20 Seiten den Leuten bei künftigem Nachfragen in die Hand drücken zu können: ‚Here you are!‘ Und für diese 20 Seiten hatte ich mir – wie gesagt – fest vorgenommen, keine Salber-Texte mitzunehmen, denn dann hätte ich mich wahrscheinlich nach drei Tagen ins Meer gestürzt. Ich habe dann wochenlang Fotokopien gemacht, damit den kompletten Kofferraum eines Golfs vollgeladen und wir sind nach Spanien gefahren.
Fitzek: Sehr emsig.
Schulte: Fast schon ‚strebsam‘ in der Tat! Aber es musste sein! In Spanien habe ich dann jeden Tag 5-6 Stunden etwa abseits und ohne Blick auf’s Meer hinter unserem Ferienhaus gesessen (vor dem Haus gab es eine lärmende Baustelle), wollte 20 Seiten schreiben, aber daraus sind dann 340 Seiten geworden – immer noch nur 2/3 von dem, was sich bei der allmählichen Verfertigung meiner Überlegungen beim Schreiben im Laufe der Wochen dann so ergab und was ich in Spanien nach 6 Wochen nicht mehr ‚rund‘ bekam. Also blieb das Werk auch später nach unserer Rückkehr ins Rheinland unvollendet, aber Anita war so unterstützend, das abzutippen und Peter Daniel hat mich nach (eben Nicht-)Fertigstellung überredet, das ganze Konvolut 20 mal zu kopieren und auf einer studentischen Tagung in Köln („Wider die seelenlose Psychologie“) mit auf den Büchertisch der Zwischenschritte zu legen. Titel: „Morphologie leicht gemacht“ – Untertitel: „Einführende Vermutungen in eine morphologische Psychologie“.
Fitzek: Ein Geheimtipp, den ich damals den Studierenden empfohlen habe, die die Morphologie ‚von innen‘ kennenlernen wollten und die mit den eigenen Zugangsproblemen nicht allein bleiben mochten. Dazu müssten wir aber wohl ein eigenes Interview machen. Es war auf jeden Fall ein schräger Aufblick auf die Morphologie.
Giebel: Das braucht aber noch eine Veröffentlichung, oder?
Schulte: Nein, nein – ein Frühwerk, dass Salber mich damals sogar mal über mehrere Sitzungen im ‚Mittelseminar‘ vorstellen ließ, aber dieses Anliegen (‚Morphologie light – ohne zusätzliche Ballaststoffe‘) – und hier schließt sich ein weiterer Kreis – wurde dann ja ab 1982 mit den Zwischenschritten fortgeführt bzw. auf eine ebenfalls leserliche, jedoch sicherlich lohnenswertere Art&Weise umgesetzt.
Giebel: Und es ist auch sehr schön, und kann man also sagen, unter dem Entwicklungsaspekt sowieso gesehen ist diese Neu-Belebung ein weiterer kleiner ‚Zwischenschritt‘, so wie dieses Interview auch nur ein Zwischenschritt sein kann auf dem noch langen Weg der Morphologischen Psychologie in eine für alle Beteiligten lesens- wie lebenswerte und behandelbare Zukunft.
Schulte: Aber wir leben doch in Spiralen. Wir kommen immer wieder an derselben Stelle raus, nur immer auch eine Etage höher.
Giebel: Ich freue mich auf die nächsten Etagen. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch. Und ja, da wünschen wir uns allen mal, die wir ja mitbeteiligt sind, sowie dem Voranschreiten dieses Projektes weiterhin alles Gute.
Die diesen ‚Geschichten‘ eingefügten Fotos wurden allesamt von Klaus Heim – damals ebenfalls Student der Psychologie an der Universität zu Köln – auf dem Kongress „Wirklichkeit als Ereignis“ anlässlich des 10jährigen Jubiläums der Zwischenschritte im Kölner Maternushaus aufgenommen. Dank & Gruß von dieser Stelle an ihn.