Jedes Leben ist wertvoll

Eine scherenartige Exploration des Veganismus.

Wenn ich eines an der Lehre der psychologischen Morphologie schätze, dann ist es die Erkenntnis, dass etwas tatsächlich niemals so eindeutig ist, wie es allenfalls zuerst scheinen mag. So bin ich auf der Suche nach einem seelischen Medium, welches den Veganismus im Sinne meines Anliegens auf die Probe stellt, auf ein einzigartiges Werbemittel gestoßen, das die Gesellschaft augenscheinlich in zwei Lager zu spalten scheint. Die Rede ist hier von einem 20-sekündigen Bewegtbild mit dem Titel „Jedes Leben ist wertvoll“, welches im Jahr 2019 von der Katjes Fassin GmbH + Co. KG. zur Ankündigung ihrer neuen, noch dazu veganen „Chocjes“-Schokolade veröffentlicht wurde. Noch heute ist die Marke „Katjes“ besonders für ihr buntes Angebot an vegetarischen Fruchtgummis bekannt und zählt damit zu den drei größten Vertretern der deutschen Süßwarenindustrie. Den Eintritt in den veganen Markt gestaltet ihr Spot nahezu märchenhaft, indem die düster illustrierte Milchindustrie von dem rosa-romantischen Bild der veganen Schokolade auf Hafermilchbasis durchbrochen und ersetzt wird. Während die vermeintlich unmissverständliche Positionierung der Marke vom Veganismus (zumindest unmittelbar) zelebriert und hoch gelobt wird, reagiert die Milchindustrie weniger freudvoll auf die negative Darstellung ihrer Tätigkeit, sodass das Werbemittel schließlich vor dem Deutschen Werberat diskutiert werden muss – jedoch ohne Erfolg.

Share with friends!
mindt

Autor:in

Anika Mindt hat Ihren Bachelor in Wirtschaftspsychologie mit psychologisch-morphologischem Schwerpunkt (B.Sc.) Derzeit im Masterstudium zur Medienpsychologie (M.Sc.) mit morphologischer Vertiefung und Ausbildung zur Analytischen Intensivberaterin, BSP Business & Law School Berlin Arbeitsschwerpunkte: Psychologische Morphologie, Medienwirkungsforschung, Wirkungs- und Handlungseinheiten, Analytische Intensivberatung.

Kontakt: anika.mindt@student.businessschool-berlin.de

Jedes Leben ist wertvoll

Held. Ein Wort, welches sehr schnell gelesen ist. Dabei möchte ich es für den Beginn dieser schriftlichen Zusammenkunft jedoch nicht belassen, und Sie stattdessen bitten, einen Moment in der ersten, spontanen Anmutung zu verharren, die sich in Folge dieses Begriffes für Sie einstellen mag.

Da dieses Format für den Moment nur einen Monolog meinerseits erlaubt, werde ich an dieser Stelle ein wenig über Ihre Einfälle spekulieren. Für einige von Ihnen sind womöglich jene Helden ins Bild gerückt, die uns auf den Leinwänden der Kinos immer wieder ins Staunen versetzen, indem sie sich trotz aller Gefahren für ihre Mitmenschen aufopfern und durch ihren waghalsigen Mut letztlich die Welt retten. Für andere mag es etwa die eigene Mutter sein, die seit Anbeginn der Zeit bedingungslos für einen sorgte, unabhängig davon welche Hürden es gegeben haben mag. Vielleicht sind es aber auch die engsten Freunde, die nach einem einschneidenden Ereignis bei einem vor der Tür stehen und damit den Tag retten. Die Heldengestalt beinhaltet vermutlich eine unendliche Anzahl an Bildern, die sich letzten Endes allerdings in ihren Grundzügen gleichen. Sie alle setzen sich für jemanden in Not ein, während sie die damit einhergehenden, meist schweren Konsequenzen (gerne) auf sich nehmen.

Ich möchte nun behaupten, dass jeder von Ihnen bereits derart heldenhaft gehandelt hat. Vielleicht haben Sie schon einmal jemandem Geld gespendet oder einen Igel von der Straße gerettet, bevor dieser vom nächsten Auto überrascht wird. Und dennoch bin ich mir sicher, dass nur die Wenigsten von Ihnen bei diesem kleinen Selbstversuch an sich selbst gedacht haben. Es mag daran liegen, dass wir uns auch jenseits dieser kleinen Heldentaten kennen und somit die Kehrseite des Ganzen sehen können. Eben das, was nicht heldenhaft ist. Das bedeutet allerdings kaum, dass wir nicht stets daran arbeiten, uns in diese Richtung zu entwickeln. Eine Richtung, in der wir mit Stolz sagen können, dass wir unser eigener Held sind.

Es ist jedoch kein Geheimnis, dass das Erreichen dieser Sehnsucht sich nicht durch herausragende Leichtigkeit auszeichnet. Was wäre also, wenn es eine Anleitung gäbe, die uns diesem Ziel ein großes Stück näher bringt?

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein, wenn ich Ihnen nun sage, dass die Antwort auf diese Frage geradezu vor unserer Nase liegt. Genauer gesagt: auf unseren Tellern. So hat eine von Jannik EVERDING durchgeführte psychologisch-morphologische Untersuchung verstehen können, dass das persönliche Selbstbild durch einen bewussten Umgang mit der alltäglichen Ernährung wirksam beeinflusst und behandelt werden kann. Neben einer Vielzahl interessanter Erkenntnisse konnte er aufzeigen, dass die bewusste Ernährung „als Instrument [dient], den persönlichen Sinn ein bisschen mehr zu finden“ (Everding 2019, S.34). Im Grunde kann sie somit tatsächlich einen greifbaren Weg bieten, dessen Befolgen mit einem geliebten und sinnstiftenden Selbstbild belohnt wird. Allerdings hat diese Umbildung einen entsprechend hohen Preis. Denn oft kann dieser ersehnte Zustand nur durch ungebrochene Disziplin erreicht werden, während ein Versagen sich schließlich genau gegenteilig auswirkt.

Eine Form der bewussten Ernährung, die dessen Qualitäten in ihre Extreme treibt und dementsprechend aktuell engagiert und heftig diskutiert wird, ist der Veganismus. Mit dem gänzlichen Verzicht auf tierische Produkte produziert er ein sehr striktes Bild, an dem sich die Geister scheiden und Diskussionen vorprogrammiert sind. Ich selbst habe 7 Jahre meines Lebens vegetarisch gelebt und konnte mir die meiste Zeit keinesfalls vorstellen, jemals diesen ‚extremen‘ Schritt zu gehen. Nachdem ich mich allerdings dazu entschied, meine erste akademische Untersuchung eben dieser Thematik zu widmen, hat es nicht lange gedauert, bis sie mich in ihren Bann gezogen hat und ich den zuvor unvorstellbaren Schritt, ohne länger zu zögern, gegangen bin. Es schien danach umso erstrebenswerter, sich in diesem Rahmen mit der Wirkung des Veganismus auseinanderzusetzen, die sich besonders in den Sortimenten gegenwärtiger Supermarktregale verstärkt bemerkbar macht.

In Anbetracht der Überwältigungskraft des Veganen erschien es schließlich durchaus sinnvoll, das Ganze im Kontext eines seelisch abgrenzbaren Gegenstandes zu behandeln, der durch gezieltes In-Bewegung-Bringen der Gestalt des Veganismus einen Zugang zu dessen Kernkomplexen schafft. Im Klartext: Um dem Veganismus und seinen seelischen Eigenschaften systematisch näherzukommen, habe ich mich mit dem Erleben und Verhalten des Veganismus im Umgang mit einem Werbemittel auseinandergesetzt, welches ein veganes Produkt bewirbt. Und so möchte ich diesen Artikel nun mit Freude dafür nutzen, Ihnen die spannenden Erkenntnisse dieser Untersuchung3 nahezubringen, die einen nicht nur den veganen Wirkungsraum besser verstehen lassen, sondern noch dazu aufzeigen, wie sich dieses Wissen in einem wirtschaftlichen Kontext umsetzen lässt.

Die Vertretung des Veganismus

Wenn ich eines an der Lehre der Psychologischen Morphologie schätze, dann ist es die Erkenntnis, dass etwas tatsächlich niemals so eindeutig ist, wie es allenfalls zunächst scheinen mag. So bin ich auf der Suche nach einem seelischen Medium, welches den Veganismus im Sinne meines Anliegens auf die Probe stellt, auf ein Werbemittel gestoßen, das die Gesellschaft augenscheinlich in zwei Lager zu spalten scheint. Die Rede ist hier von einem 20-sekündigen Bewegtbild mit dem Titel „Jedes Leben ist wertvoll“, welches im Jahr 2019 von der Katjes Fassin GmbH + Co. KG. zur Ankündigung ihrer neuen, noch dazu veganen „Chocjes“-Schokolade veröffentlicht wurde. Noch heute ist die Marke Katjes besonders für ihr buntes Angebot an vegetarischen Fruchtgummis bekannt und zählt auch damit zu den drei größten Vertretern der deutschen Süßwarenindustrie. Den Eintritt in den veganen Markt gestaltet ihr Spot nahezu märchenhaft, indem die düster illustrierte Milchindustrie von dem rosa-romantischen Bild der veganen Schokolade auf Hafermilchbasis durchbrochen und ersetzt wird. Während die vermeintlich unmissverständliche Positionierung der Marke vom Veganismus (zumindest unmittelbar) zelebriert und hoch gelobt wird, reagierte die Milchindustrie weniger freudvoll auf die negative Darstellung ihrer Tätigkeit, sodass das Werbemittel schließlich vor dem Deutschen Werberat diskutiert werden musste – jedoch ohne Erfolg.

Genau wie der Veganismus selbst scheidet der augenscheinlich provokante Werbespot die Geister der heutigen Kultur, womit er sich letztlich als ausgezeichnete Grundlage für die Exploration der Gestalt des Veganismus erweist. Um diesem Ziel entgegenzukommen, habe ich mir das Erleben und Verhalten im Umgang mit dem ‚Chocjes‘-Werbemittel von sechs jungen Vertretungen des Veganismus in Form von ca. 3-stündigen Tiefeninterviews beschreiben lassen. Diese Beschreibungen bilden die empirische Grundlage der vorliegenden Untersuchung. Die Analyse folgte dem Morphologischen Versionengang, welcher auch den Aufbau dieses Artikels vorgibt. Nach der Grundqualität wird die zweite Version aufgrund des Beeinflussungscharakters von Werbung mittels der morphologischen Scherenanalyse betrachtet. Als Abschluss soll dann noch einmal in die dritte Version eingetaucht und der Veganismus als solches in seiner Märchengestalt verstanden werden. Es wird sich am Ende zeigen, wieso das Seelische klare Ein-Deutigkeiten nicht einrichten kann. Und das selbst dann nicht, wenn ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung zu gehen scheint.

Die Qualität des ‚Ernüchterten Enthusiasmus‘

Im ersten Moment ist der Spot nämlich genau das: Ein Wunsch, der in Erfüllung geht. So formt sich die Dynamik nach dem ersten Betrachten in eine überraschte Form der Euphorie, die in diesem Fall mit diversen Tendenzen einhergeht. Zum einen ist der Veganismus als Form der bewussten Ernährung, im Vergleich zu seinen Mitstreitern, von sehr strengen Begrenzungen begleitet. Das Aufgeben vielerlei Lebensmittel, die zuvor intensiv kultivierte Bestandteile des Alltags waren, gestaltet sich für die jungfräuliche Gestalt des Veganismus dabei nicht selten als schmerzhafter Umbildungsprozess. Indem das Ganze nun im Kontext eines übergreifenden Sinnbildes stattfindet, sei es ein Angriff auf die Gesundheitsmoral der Lebensmittelindustrie, der Kampf um das Überleben des Planeten oder aber das Wohlergehen der zu Unrecht ge- bzw. mißbrauchten Nutztieren, wird dieser Prozess zu einer essentiellen Opfergabe, die einen mit einem vollkommeneren Selbstbild belohnen soll. Ohne diese Herausforderung wäre der erlebte Wert der Belohnung nur halb so groß. Nichtsdestotrotz ist das aus dem Verzicht entstehende Verlangen ein Spannungszustand, dem das Seelische nur für begrenzte Zeit standhalten kann, dies aber des Selbstwerts wegen um jeden Preis versucht. Als Lösung für dieses seelische Dilemma konstituieren sich schließlich die veganen Ersatzprodukte, wie auch die Chocjes-Schokolade eines ist. Durch die bestmögliche Imitation der nun ausgeschlossenen Lebensmittel sind sie in der Lage, fehlende Normalität zurück in den veganen Alltag zu bringen und den Veganismus auf diese Weise möglich(er) zu machen.

Das mittlerweile immer weiter zunehmende Erscheinen solcher Lösungen im Einzelhandel bewirkt damit jedoch nicht nur eine Reduzierung der sogenannten Ausnahmen, indem die verlangenden Spannungen der veganen Ernährung zuverlässig ‚gestillt‘ werden können. Diese Entwicklung entwirft darüber hinaus ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft, in dem die eigens aufgebrachten Mühen einen realen, greifbaren Einfluss in der ‚externen‘ Welt zeigen. Dass sich nun auch Katjes in den veganen Markt begibt, eine Marke, die mit ihrem Angebot an vegetarischen Ersatzprodukten bereits in der Lage war, eine bedeutungsvolle Konkurrenz zu herkömmlich hergestellten Fruchtgummis zu bieten, lässt den Veganismus diesen Erfolg deutlich spüren. Verstärkt wird dieses Erleben durch die vermeintlich starke Positionierung der Marke im Spot, womit sie sich auch gegenüber einem nicht-veganen Publikum zum Veganismus bekennt. Dieser überwältigende erste Eindruck ist es, der für den alles überlagernden Enthusiasmus nach dem ersten Erleben des neuen Chocjes-Spots sorgt.

Bei genauerem Betrachten der Darstellung gerät das positive Bild jedoch zunehmend ins Wanken. Fortlaufend rücken alarmierende Aspekte in den Vordergrund, mit denen ein entsprechender Umgang gefunden werden muss. Gegensätzlich zur anfänglichen Überzeugung steht das Seelische nun im Kampf zwischen den antagonistischen Polen der Hingabe und der Ablehnung, woraus sich ein fortwährender Prozess des Abwägens entwickelt. Der vehemente Versuch, sich in einer dieser Tendenzen zu festigen, bleibt ohne Erfolg, und der anfängliche, durch bekräftigende Eindeutigkeit entstandene Enthusiasmus wird durch die ernüchternden Qualitäten der ‚Realität‘ geschwächt.

Allein diese Feststellung, abgeleitet aus den atmosphärischen Gegebenheiten des Rezeptionserlebens, gibt bereits konkrete Hinweise auf die Gestalt der veganen Ernährung selbst. Denn auch diese ist von einer grundlegenden, manifesten Überzeugung geprägt, die vor allem von einem nicht-veganen Gegenüber gern als aufdringlich wahrgenommen wird. Dabei ist diese ein-deutige Einstellung vor allem anderen ein ‚Überlebensinstinkt‘, der das langfristige Erhalten der Gestalt durch das Überlagern der vielen Hindernisse zu sichern versucht. Im weiteren Verlauf sollen nun vier dieser alltäglichen Konflikte des Veganismus dargelegt werden, die durch das Werbemittel präsent gemacht und behandelt werden.

Aufdringlich – Zurückhaltend

Der Spot für die vegane Chocjes-Schokolade beginnt seine Geschichte mit einer ausgesprochen düster erlebten Darstellung der gegenwärtigen Milchindustrie. Abgemagerte, kaum noch lebendige Kühe mit leeren Augen marschieren im Gleichschritt vor einem stürmenden, dunklen Himmel ihrem Schicksal entgegen, von welchem man nur annehmen kann, dass es alles andere als ein ‚Happy-End‘ für sie bereithält. Dass Katjes mit dieser Herangehensweise zuerst an diejenigen appelliert, die derzeit noch immer Teil des Milchgewinnungsprozesses sind, seien es Landwirtschaft, Herstellung oder Konsumierende, stellt sich für den Veganismus schnell heraus. Für ihn ist dieses Bild der Massentierhaltung schließlich nicht nur bekannt, sondern in vielen Fällen sogar die Berechtigung für die eigene Haltung. Die für vergleichbare Produkte doch sehr direkte Art der Darstellung wird im ersten Augenblick, wie sich an dieser Stelle sicher schon vermuten lässt, von der veganen Ernährung als positive Überraschung aufgefasst. Der Ursprung für diese Reaktion liegt in einer der der schwerwiegendsten Problemzonen des veganen Alltags: Die Kommunikation der eigenen Werte gegenüber nicht-veganen Parteien. Besonders in der Entstehungs- bzw. ersten Entwicklungsphase einer veganen Lebensführung füllt sich diese mit einer tiefen Leidenschaft, für dessen Ausdruck bereitwillig ein Austausch gesucht wird. Nicht selten ist es dann jedoch der Fall, dass diese Leidenschaft nicht nur nicht geteilt, sondern vom Gegenüber mit allen Mitteln abgewiesen wird. Ignorante Skepsis, unverständliche Gegenargumente und abwertende Witze sind für den Veganismus Normalität, was in der (heutzutage zumeist noch vorherrschenden) Minderheit zwar nicht zur Kapitulation, wohl aber zum Rückzug führt. Man lernt so mit der Zeit, die eigenen Werte hinter Humor und unverkennbar unwiderlegbaren Fakten zu verstecken, da sich mit der Aufgebrachtheit des Anderen die eigene Situation verschlimmert, darüber hinaus allerdings auch die derjenigen, für die das Ganze ursprünglich in Kauf genommen wurde.

Mit anderen Worten ist es für die vegane Ernährung keine Selbstverständlichkeit, die eigenen Überzeugungen offen und ungefiltert gegenüber Außenstehenden zu vermitteln, was das Werbemittel nun mit überspitzt emotionalen Stilmitteln auf sich nimmt. Während dies der veganen Rezeption die positiv erlebte Möglichkeit eröffnet, aus dieser übergreifenden Zurückhaltung auszubrechen, kippt dieses Stimmungsbild rapide, wenn die Konsequenzen dessen präsent werden. Es entsteht die Angst, dass die Botschaft des Spots von einem nicht-veganen Erleben als Angriff aufgefasst wird, was sich letzten Endes negativ auf das vorherrschende Bild des Veganismus auswirken und dem übergreifenden Ziel der Gerechtigkeit in den Weg stellen würde. Entgegen der ersten Zuneigung distanziert sich der Veganismus nun von den Aussagen des Spots und sucht nach Lösungen, die dargestellte Intensität zu verringern.

Umso interessanter ist jetzt, dass im Laufe der Rezeption schließlich auch die konträre Überzeugung aufkommt, sodass Darstellung und ausgewählte Thematik des Spots schlagartig als zu begrenzt statt, wie kurz zuvor, als zu gewaltig erlebt werden. Das Seelische bricht aus der besorgten Zurückhaltung aus, um sich folglich in ihr Gegenteil zu wandeln und die emotionale Präsenz einzufordern, die der veganen Mentalität zusteht. Der Veganismus wird nun darauf aufmerksam, dass der Milchgewinnungsprozess in der Darstellung des Spots, trotz emotionaler Überspitzung drastisch auf diejenigen Aspekte reduziert wird, die in der nicht-veganen Wahrnehmung bereits integriert und demnach offenkundig nicht in der Lage sind, die Gestalt der aktuellen Ernährungsweise genügend Spannung für eine tatsächliche Entwicklung auszusetzen. So wird beispielsweise die eigentliche Voraussetzung des industriellen Milchgebens vermisst: Das künstliche Befruchten und Schwängern der Muttertiere gefolgt von der schmerzhaften Trennung vom jungen Kalb. Ohne die Darstellung solcher, auf einer emotionalen Basis überzeugenden Fakten, fürchtet der Veganismus ein unbeeindrucktes Fortführen der bestehenden Ignoranz, wobei sich diese Angst erneut direkt auf den Alltag übertragen lässt. Auch hier ist die gnadenlose, aber ebenso unanfechtbare Realität ein geliebtes Instrument, um mit der Skepsis und Unbetroffenheit des Gegenübers umzugehen. Mit der Erkenntnis, dass das Werbemittel sich nun ebenfalls der veganen Zurückhaltung zu unterwerfen scheint, blockiert es das Seelische in seiner Hoffnung auf den lang ersehnten Ausbruch und führt dem anfänglichen Enthusiasmus damit die ernüchternde Realität des Alltages vor Augen, nämlich, dass der Veganismus noch immer keine Perspektive auf ein gleichwertiges Recht der Mitteilung hat.

Zuspruch – Angriff

Nachdem der erste vom Werbemittel behandelte Konflikt sich der Kommunikation gegenüber einer dem Veganismus fernstehenden Partei widmet, gelangen wir nun zu den Phänomenen, die sich in der direkten Ansprache des veganen Gegenstandes zeigen. Die dramaturgische Grundlage liegt auch hier in der erschütternden Darstellung der Kühe, welche als Protagonisten einer ausbeutenden Milchindustrie an die Grenzen ihres Daseins getrieben werden. Der Spot schafft es damit, eine tiefe Form der Betroffenheit im Erleben auszulösen, die schließlich nicht nur diesem konkreten Szenario gilt, sondern der Gesamtheit aller Wirklichkeiten, die das Dasein des Veganismus initial begründen und im weiteren Verlauf dessen Existenz sichern. Die leidenschaftliche Ablehnung dieser Gegebenheiten tendiert dagegen im Laufe der gestaltlichen Entwicklung zunehmend dazu, in den Hintergrund zu rücken, sobald die für die Umbildung entscheidende Schwelle überschritten ist und der Alltag abermals an Normalität gewinnt. Indem der Spot nun die zur Ruhe gelegte Emotionalität präsent werden lässt, tut sich schließlich das besagte zweite seelische Dilemma auf.

Die enthusiastische Seite des Stimmungsbildes entsteht hier durch die dankbare Erleichterung der veganen Ernährung, selbst nicht (länger) Teil des Leids und der Ungerechtigkeit zu sein, mit der sie in diesem Moment konfrontiert wird. Die durch das Aufzeigen der elementarsten Antriebskräfte erlebte Bestätigung dieser aufopferungsvollen Entscheidung führt dabei nicht nur zu einer starken Wertschätzung des Selbst, sondern ist zudem durchaus in der Lage, über die Zeit aufgekommene Zweifel erneut zu begrenzen und frische Begeisterung für das eigene Tun zu schaffen. Es führt dem Veganismus erneut vor Augen, was er mit seinen Taten tatsächlich in der Lage ist zu vermeiden und stellt ihn damit in einer moralischen Hierarchie über diejenigen, die trotz anderer Möglichkeiten weiterhin aktiv dazu beitragen.

Dieses re-animierte Selbstbewusstsein bleibt dem Veganismus jedoch wesentlich kürzer erhalten, als er es sich erhofft. Denn durch das quälende Aufzeigen des gegenwärtigen Tierleids unter den Bedingungen der Massentierhaltung wird der Veganismus nicht nur an die Grundlagen seiner Hingabe erinnert, sondern auch daran, dass diese Missstände trotzdem noch immer Realität sind. Es folgt die Eingebung, dass die eigene, tagtägliche Aufopferung kaum das zu erreichen vermag, was ihr bisher in Aussicht gestellt wurde: Eine Verbesserung des ‚Weltlichen‘. Das heldenhafte Selbstbild, welches dem Veganismus zu großem Teil einen erstrebenswerten Sinn verleiht, wird gebrochen, und ein Gefühl der Hilfslosigkeit bleibt zurück. Folglich sucht man nach Lösungen, das soeben Verlorene zu nivellieren und den positiven Einfluss auf die Außenwelt (noch) weiter zu intensivieren, indem zum Beispiel zukünftig ein stärkerer Fokus auf nachhaltiges Verhalten gelegt werden soll. Und dennoch reichen diese Bemühungen kaum aus, um das erschütterte Selbstbild in den vorherigen Zustand zurückzuversetzen. Auch in diesem Punkt stellt die ‚Realität‘ der Euphorie des Veganismus also ausschließlich Begrenzendes gegenüber, indem den guten Taten durch ihren geringen, aber sehr wohl existenten Einfluss ihre Bedeutung genommen wird. Nun stellt sich doch die Frage, was passiert, wenn die vegane Ernährung diese Grenzen kurzerhand ignoriert und übergeht?

Heldenhaft – Hinterlistig

Wir bewegen uns im Spannungsbogen des ‚Dialogs‘ mit dem Werbemittel nun ein Stück weiter voran, zu dem Punkt, an dem sich die Marke ins Spiel bringt. Nach der düsteren Darstellung der Milchindustrie entwirft der Spot einen äußerst dramatischen Bruch, bei welchem von der bedrohlichen Atmosphäre in das schiere Gegenteil einer harmonischen, augenscheinlich perfekten Welt übergegangen wird. Auslöser dafür ist in erster Linie die Ablehnung herkömmlicher und der Wechsel zu aus Hafer hergestellter Milch, der letzten Endes jedoch der Gegenwarts-Kultur von der Marke offeriert und für das hier beworbene Produkt, die Schokolade, umgesetzt wird und womit Katjes nun zum kühnen Helden der Erzählung (gemacht) wird.

Auch im Erleben des Veganismus kann sich dieses Bild der Marke in gewisser Weise etablieren. Die Basis des Ganzen bildet das Phänomen, dass mit jeglicher Ankündigung neuer veganer Produkte eine grundlegende Begeisterung für vegane Ernährung einhergeht. Denn diese bringen verloren gedachte Lebensmittel zurück in den Bereich des Möglichen, und auch dann, wenn derart ersetzende Lösungen bereits gefunden wurden, lockern solche Produkte die durch mangelnde Variation entstehende, fortwährende Spannung für das dem Veganismus zugewandten Seelische. Katjes schließlich als Absender dieser ‚Botschaft‘ zu auszumachen, löst vor dem Hintergrund ihrer Fruchtgummis, die in vielen Fällen ein treuer Begleiter im eigenen vegetarischen Übergang waren, eine besonders erfreuliche Nostalgie aus.

Aber unabhängig davon, ob letztlich ein tatsächliches Verlangen besteht, werden Produkterscheinungen dieser Art als ein übergreifender Ausdruck des Fortschritts erlebt. Im Fall der Chocjes-Schokolade bleibt es jedoch nicht bei einer simplen Einführung des Produkts. Das Verkünden eines solchen Schrittes in diesem Spot wird weiterhin als Aufforderung an die Kultur wahrgenommen, die Probleme des Nicht-Veganismus nicht länger zu übergehen. Als lang etablierte Marke weist Katjes eine große Reichweite auf, die nun als Publikum dienen kann und den Veganismus dazu bringt, eine weiter wachsende Hoffnung auf Besserung aufzubauen. Der reibungslose Umbruch des Spots, in welchem er von einer leidvollen zu einer leidfreien Milch übergeht, verleiht der veganen Lebensweise eine erstrebenswerte Leichtigkeit, die, wenn sie den Folgen der nicht-veganen Taten gegenübergestellt wird, kaum etwas anderes als Einsicht zuzulassen scheint. Dass das nicht notwendigerweise der Realität entspricht, wurde im vorherigen Punkt jedoch bereits dargelegt. Die rebellierende Bereitschaft der Marke, sich trotz dieser Gefahr den strengen Urteilen der nicht-veganen Zuhörerschaft zu stellen, lässt Katjes für einen Moment zu dem Helden werden, den die Darstellung im Werbemittel vorsieht. Sie machen sich damit zum Verbündeten des Veganismus im stetigen Kampf des Alltages, der sonst allein beschritten wird und nehmen ihm weiterhin die Last, den Unmut der anderen fortwährend selbst auf sich nehmen zu müssen.

An diesem Punkt wird es für Sie jedoch kaum noch überraschend sein, dass sich auch in diesem kühnen Bild der Marke eine Kehrseite angelegt ist. Interessanterweise ist es hier jedoch das Fehlen einer solchen Kehrseite in der aktiven Darstellung des Spots, welches das Erleben nun besonders unter Spannung setzt. Mit anderen Worten treibt Katjes das Erleben ihrer Marke kombiniert mit ihrer neuen, veganen Schokolade an einen Punkt, an dem die Marke sich als (alleiniger) Garant für eine perfekt harmonische Wirklichkeit inszeniert, welche sie letzten Endes in Aussicht zu stellen scheint. Der Neuankömmling auf dem Markt, der dem Veganismus vor einigen Sekunden der Rezeption selbst noch verdeutlicht hat, dass der eigene Einfluss kleiner ist als erhofft, überschätzt sich nun selbst in seiner Wirksamkeit und gibt dem Seelischen damit einen Anlass, das Erlebte in Frage zu stellen und sich auf die Suche nach weiteren Unstimmigkeiten zu begeben.

Abgesehen davon, dass die Chocjes-Schokolade gegenüber anderen bereits existierenden und überzeugenden veganen Schokoladen auf eine für den Neueinstieg unangemessen innovative Art und Weise erlebt wird, trifft die vegane Ernährung an dieser Stelle auf ein Problem, welches die gesamte Authentizität der Marke ins Wanken zu bringen vermag. So ist es nicht nur kein Geheimnis, sondern das Haupterkennungsmerkmal der bestehenden Produktpalette, dass diese auf der ausschließlichen Verwendung vegetarischer Zutaten aufbaut. Und auch, wenn der Verzicht auf tierische Gelatine einen lobenswerten Anfang darstellt, schließt der Vegetarismus noch immer tierische Produkte ein, wobei der Unterschied allein darin besteht, dass die Tiere für dessen Gewinnung nicht sterben müssen. Und auch das schließt ein leidvolles Leben in den meisten Fällen nicht aus.

Der Veganismus wird hier etwa auf den Überzug aus Bienenwachs aufmerksam, den Katjes für viele seiner bisherigen Produkte verwendet. Was vor Katjes‘ Entscheidung für den Veganismus womöglich noch unproblematisch gewesen wäre, sorgt nun für eine konflikthafte Inkonsistenz mit den zuvor propagierten Werten. Man kann hier beinahe von Glück sprechen, dass die sogenannten ‚Yoghurt-Gums‘ das Bild der Marke sichtlich nicht dominieren, da der tatsächliche Gebrauch von Milchprodukten nach der eindeutigen Positionierung im Spot diese Problematik nochmals stark intensivieren würde.

Nichtsdestotrotz wird die Glaubwürdigkeit des Absenders auf eine Art und Weise geschwächt, in der nur die Intention des Profits als Erklärung dieser Unstimmigkeiten zurückbleibt. Schlagartig geht es der Marke nicht mehr um eine Welt, in der diejenigen, die einfach keine Möglichkeit haben, sich zur Wehr zu setzten, in Frieden leben können, sondern nur darum, das wirtschaftliche Potential des Veganismus für sich zu (be-)nutzen. Während sich dies einerseits vor dem Hintergrund eines Unternehmens in gewisser Weise rechtfertigen lässt, verletzen sie damit jedoch andererseits ein unausgesprochenes Gesetz der Gestalt des Veganismus, in welchem die Belohnungen des Ganzen nur genossen werden dürfen, wenn man zuvor die Hürde des selbstlosen Verzichts auf sich genommen hat. Indem Katjes allerdings die Anerkennung für ihre Taten auskostet, ohne die bedrückenden Qualitäten des Veganismus auf sich nehmen zu wollen, wird das unvoreingenommene Unterstützen der Marke nahezu unmöglich gemacht, und das Seelische wird erneut in einem Kampf zwischen Sympathie und Ablehnung verwickelt. Und damit gelangen wir zu einem letzten, nicht jedoch weniger essentiellen – vom Spot inszenierten – Konflikt, der dem Veganismus immanent ist. Denn diese Problematik zeigt sich übergreifend in all den vorherigen Punkten und bildet somit einen der grundlegendsten Spannungen des Veganismus.

Größeres Wohl – Eigene Bedürfnisse

Wie sich in der bisherigen Ausführung zeigte, liegen viele Qualitäten der veganen Lebensweise außerhalb der eigenen Reichweite. Es ist nicht nur das Vorhaben, den Planeten, seine Bewohner oder unser Gesundheitssystem positiv zu beeinflussen, sondern auch die Mittel zum Erreichen dieser Ziele liegen nur zu kleinen Anteilen in der eigenen Macht. Denn, wenn ein bedeutungsvoller Unterschied erreicht werden will, muss sich zunächst eine ‚Masse‘ entwickeln, die die vegane Gestalt zunehmend in die Gegenwartskultur einarbeitet. Somit ist der Nicht-Veganismus ein unverzichtbarer Teil des Prozesses, der trotz aller Unannehmlichkeiten nicht außer Acht gelassen werden darf. Auch der Spot bringt das vegane Rezeptionserleben wiederholt dazu, die Wünsche und Anliegen anderer zu berücksichtigen und stellt damit die Nachgiebigkeit in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse auf die Probe.

Dabei fällt über die meiste Zeit der Erlebensentwicklung im Umgang mit dem Werbemittel auf, dass die vegane Ernährung durchaus bereit ist, die eigenen Sehnsüchte zurückzustellen, insofern die Folgen dessen zur Erfüllung des angestrebten größeren Wohls beitragen. Gelangt man dann jedoch ans Ende des Spots, wächst die Erwartungshaltung für ein Entgegenkommen in die vegane Richtung, worauf einen das Chocjes-Werbemittel jedoch vergebens warten lässt. So wird die meiste Zeit der Darstellung der Hafermilch als leidfreie Alternative zur Kuhmilch investiert, was für den Veganismus zwar aufbauende Qualitäten, jedoch kaum neue Informationen mit sich bringt. Als sich der Spot dann endlich der Schokolade, dem eigentlichen Produkt der Begierde zuwendet, wird nichtmehr als dessen bloße Existenz beteuert und man realisiert, dass die eigene Zielgruppe kaum von Bedeutung für den Absender sein kann. Der Spot zwingt den Veganismus damit in eine Position, in welcher das Selbstlos-Sein nicht mehr optional ist, wodurch diese Haltung nicht nur seine erfüllende Wirkung verliert, sondern durch das Fehlen eines ergänzenden (und unerlässlichen) Eigennutzes zu einer großer ‚Frustration‘ führt.

Die vegane Ernährung wird in ihrem Alltag stets dazu veranlasst, sich selbst im Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und einem größeren Wohl auszuhandeln. Sei es das Verlangen nach einem Lebensmittel tierischer Herkunft, dem man bemüht widersteht, oder aber die immer gleiche Diskussion mit der nicht-veganen Seite, in der man im Sinne der Gerechtigkeit auf einen emotionalen Ausbruch verzichtet. Als essentieller Teil der Gestalt wird die Selbstlosigkeit und damit das Zurückstellen der eigenen Lüste oftmals sogar überaus gern in Kauf genommen, um sich selbst mit dem Gefühl der eigenen Stärke zu belohnen. Auf lange Sicht lässt sich dieser Zustand jedoch nur erhalten, wenn der Veganismus die Kontrolle über sein Geben und Nehmen behält und beizeiten auf eine die Regeln nicht (zu) überschreitende Art und Weise auf seine Kosten kommt. Denn letztlich wird das alleinige Erfüllen einer Seite der Spannung nie zu einer allumfassenden (‚perfekten‘) Gestalt führen können – auch in diesem Falle nicht.

Die Scherenanalyse

An dieser Stelle möchte ich zum zweiten Sinnabschnitt dieses Artikels kommen. Nachdem wir uns bisher vor allem mit den grundlegenden Konflikten des Veganismus befasst haben, mit denen der Spot das Seelische im Zuge seiner Rezeption konfrontiert, soll nun noch einmal auf die konkrete Beeinflussungsmechanik eingegangen werden, mit welcher das Werbemittel den Veganismus von sich, der Marke und dem Produkt zu überzeugen versucht. Wie zuvor bereits erwähnt, erfolgte die Analyse des Ganzen nach dem Muster der Morphologischen Scherenanalyse nach Melchers, welche die Vermittlung der Werbebotschaft im Sinne einer Beeinflussung als Ergebnis einem wechselhaften ‚Dialog‘ zwischen Werbemittel und Seelischem versteht, in welchem sich letzteres durch das stetige Aufgreifen und Widerlegen der eigenen Gegenwehr schlussendlich auf das Beworbene einlassen kann und will. Im spezifischen Fall des Chocjes-Werbespots wird die klassische Verhandlung von These, Gegenthese und Vermittlung ganze fünf Mal durchlaufen, bevor das Seelische (‚erschöpft‘) nachgibt. Ohne zu viel vorweg nehmen zu wollen, werden diese fünf Komplexe nun nacheinander mit dem Ziel vorgestellt, am Ende dieses Artikels zu verstehen, wie das Werbemittel die Konflikte des Veganismus für, aber auch gegen sich nutzt und woraus sich zudem allgemeine Aussagen über eine Werbung zugunsten einer veganen Lebensweise schließen lassen.

Gemeinsames Interesse als Ausgangspunkt

Abgesehen davon, ob der Spot tatsächlich auf das Erstreben, Einrichten oder eine Bestärkung des Veganismus abzielt oder nicht, wird im ersten seelischen Komplex des Werbemittels die gleichgesinnte Überzeugung beider Positionen oder Parteien betont und somit eine erste, grundlegend bedeutende Gemeinsamkeit hergestellt. Die nun schon so oft betonte düstere Darstellung der Milchindustrie und dessen Protagonisten, die unter ihr zu einer unzumutbaren Version ihrer selbst werden, sorgt im Erleben für eine tiefe Form der Betroffenheit. Mit der besonderen zeichnerischen Darstellung der Kühe ist der Spot in der Lage, ‚die‘ Realität zu entfremden und damit zu verharmlosen, jedoch gleichzeitig durch die stilistische Hervorhebung des Leidenszustandes ein emotionales Höchstmaß zu erreichen. Die reduzierte Lebendigkeit der Milchgebenden erinnert an Bilder, die von Krieg, Nötigung und Tod bestimmt werden, während aus dem überlagernden Grau die Ursache für all das heraussticht: der pralle Euter. Der Spot schafft es damit außerordentlich schnell, die vom Veganismus so leidenschaftlich abgelehnte Ungerechtigkeit präsent zu machen und eine erste Verbindung herzustellen.2

Durch die vermeintlich unmissverständliche Botschaft des Spots tritt im Erleben des Spots und des hier ersichtlich beworbenen Veganismus nun unumgänglich der Instinkt ein, von der zu intensiven Konfrontation einer nicht-veganen Partei absehen zu wollen. Die vegane Ernährung distanziert sich nun von den Botschaften des Werbemittels, um folglich nicht mit dem gefürchteten Klischee der veganen Aufdringlichkeit in Verbindung gebracht werden zu können und das eigene Schicksal abseits von diesem unkontrollierten Umgang mit der Leidenschaft abzusichern. Neben der bröckelnden Hoffnung auf eine gerechte Welt, welche aus einer großflächigen Ablehnung der veganen Werte resultieren würde, ist somit auch das eigene Bild in Gefahr.

Die erste Vermittlung gelingt dem Spot nach dieser Gegenwehr aber dadurch ausgesprochen gut, dass er dem Veganismus ausreichend Raum bietet, die dargestellten Werte nicht nur intuitiv auf Außenstehende, sondern schließlich auch auf sich selbst wirken zu lassen und damit zu ermöglichen, die eigens zurückgestellten Überzeugungen aus dem Hintergrund hervorzurücken. Die Angst, das externe vegane Bild zu schädigen, weicht nun der aktivistischen Tendenz, dass ohne Polarisierung zwar Frieden, aber keine Veränderung der fatalen Wirklichkeiten abzusehen ist. Die Notwendigkeit des nicht-veganen Kontakts wird deutlich, und die Wertschätzung für den mutigen und bisher exzeptionellen Einsatz des Werbemittels steigt ungemein. Durch diese Erkenntnis erlangt der Veganismus erneut Hoffnung und ist auf dieser Grundlage bereit, sich weiterhin auf das Angebot des Werbemittels einzulassen.

Entwicklung als Essenz des Veganismus

Der zweite seelische Komplex in der Erlebens‚mechanik‘ des Chocjes-Werbespots baut nun auf hervorragende Art und Weise das Folgeargument auf der eben gebildeten Hoffnung auf und löst in der veganen Ernährung einen starken Wunsch nach Veränderung aus, in dem die bestehende Betroffenheit an einen Extrempunkt getrieben wird. Wir befinden uns derzeit an einer Stelle in der Geschichte des Werbemittels, in der die Bedrohung der Kühe nicht mehr nur an deren Aussehen festgemacht, sondern auf unspezifische Weise immer konkreter wird. Die Kühe werden hier aus einem tiefer gelegenen Winkel rückseitig abgebildet (oder auch gefilmt), während die Milch von einer Melkmaschine dem Euter regelrecht entrissen wird. Betrachtet man diese Szenerie für eine kurze Weile, lassen sich Assoziationen eines sexuellen Übergriffes kombiniert mit unfreiwilliger Pornografie kaum fernhalten. Was allein schon für ein unangenehmes Empfinden sorgt, wird durch die Erkenntnis, dass dieses Bild mit dem Kontext der Zwangsbefruchtung auch in der ‚weltlichen Realität‘ verankert ist, an einen Punkt getrieben, an dem der Veganismus diesen Zustand nicht länger ertragen will und kann, was schließlich zu dem eindringlichen und sofortigen Verlangen nach Veränderung führt.

Dass auch der Spot eine solche Entwicklung einfordert, bildet an dieser Stelle die sympathie-bildende These der Schere, welche allerdings ebenfalls für Das Aufkommen der folgenden Gegenthese verantwortlich ist. Denn, auch wenn der Veganismus selbst nicht länger zu diesen Gegebenheiten beiträgt, entwirft der Spot ein Bild der Schuld, vom welchem auch das vegan-geprägte Erleben nicht verschont bleibt. Über die Zeit, in der das Seelische sich in der ‚veganen Gestalt‘ bewegt, werden andere Realitäten durchaus gern aus dem Bild gedrängt, um letzten Endes das eigene Erfolgserleben aufrecht erhalten zu können. Das nun so ungeschützte Betonen der noch immer aktuellen Missstände bricht diesen Zustand des Ignorierens und führt dem Veganismus die Grenzen seiner Wirksamkeit vor Augen. In diesem Moment wird das heldenhafte und aufopfernde Selbstbild des Veganismus erstmalig gebrochen und Enttäuschung breitet sich aus, was sich dynamisch nun in besagter Ernüchterungshaltung zeigt.

Ohne dieses Stimmungsbild gänzlich zurückbilden zu können, erreicht der Spot auch hier eine Vermittlung, indem das Aufzeigen der eigenen Grenzen nicht nur Be-Grenzung bedeuten muss, sondern in konträrer Weise auch Ausbreitungstendenzen in Gang bringen kann. So sucht der Veganismus in Folge dieser Erkenntnis nach Wegen zur Erweiterung des eigenen, positiven Einflusses auf das ‚Äußere‘, um folglich auch das ‚Innere‘ (erneut) aufzuwerten. Doch auch unabhängig von zukünftigen Entwicklungen, bringt das aktive Wahrnehmen des Punktes, an dem man sich an dieser Stelle der Erlebensentwicklung befindet, eine Anerkennung für die bisherige Leistung mit sich, mit der man sich nicht nur über ein vergangenes Bild von sich selbst, sondern auch über andere, nicht-vegane Bilder hinaus entwickelt. Auf diese Weise kann zumindest ein Teil des soeben verloren geglaubten Heldenbildes zurückerlangt und die Vermittlung weiterhin verfolgt werden.

Die Schuldfrage als umstrittenes Ventil

Nachdem im vorherigen Schritt nach einem kurzen Gefühl des Scheiterns erkannt werden konnte, dass die im Spot verkörperten Situationen nicht länger in den eigenen Schuldbereich fallen und folglich die eigene Entwicklung zelebriert werden konnte, leitet das Werbemittel die Aufmerksamkeit nun aktiv auf die (Ver-)Ursache(r) der so stark verachteten Ungerechtigkeit. Verbildlicht wird die Schuldfrage hier, indem die Kühe nach dem Vorgang des Melkens mutmaßlich fremdgesteuert in ein Fabrikgebäude einziehen, welches in der Gestalt einer gewaltigen Schokoladentafel präsentiert wird, wobei durchaus variieren mag, welches dieser beiden Bilder sich zuerst auftut. Abgesehen davon, dass im Erleben dieses Bildes früher oder später die Frage aufkommt, was sich jenseits der hell beleuchteten und das Geschehen nahezu glorifizierenden Tore zuträgt, wird das Leid der Kühe mit ihrem Gang in die Milchschokolade unmittelbar mit dieser verbunden. Dabei soll es jedoch nicht bleiben und alle, die für dessen Herstellung verantwortlich sind, geraten in das Visier des Veganismus. Die Rede ist von der Landwirtschaft, vor allem aber von den Konsumierenden, die die herkömmliche Schokolade verzehren und den Marken, die diese anbieten. Die Schuld nun vollständig von sich selbst abzuwenden und auf ein konkretes Ziel zu richten, erfüllt den Veganismus mit Erleichterung und gleichzeitig dem Bedürfnis, der tagtäglich angestauten und verborgenen Wut auf diese Parteien Ausdruck zu verleihen.

Dass der Werbespot es nun bei dieser als schwach erlebten Anschuldigung belässt, in der die Tragik der Situation und deren Verbindung zu den soeben ernannten Schuldtragenden stark begrenzt wird, sorgt beim Veganismus für großes Missfallen. Er wünscht sich mehr. Mehr Informationen, mehr Ausdruck des Leids und mehr Schuldzuweisung, um nach all der Zurückhaltung endlich eine echte Reaktion des Gegenübers hervorzurufen. Das bereits erwähnte Fehlen des Sachverhalts, dass die jungen Kälber nach der erzwungenen Schwangerschaft der Mutterkuh von ihr getrennt werden, spielt an dieser Stelle insbesondere eine Rolle. Das Steigern der Emotionalität und vor allem der ‚Identifikation‘ mit der Situation der Tiere wird als Versuch des Spots gesehen, Empathie und ein reales Abwägen zu bewirken. Der Spot scheint es nun allerdings bei einer abgeschwächten Version des Veganismus belassen zu wollen, was die Authentizität von Katjes als Absender – und betrüblicher noch: das bisher aufgebaute Bündnis – erstmals ins Wanken kommen lässt. Es entsteht der Eindruck, dass Katjes und Spot die Kritik seitens des nicht-veganen Publikums begrenzen wollen, was trotz der eigenen Angst als Schwäche der ‚veganen Gestalt‘ nur höchst ungern wahrgenommen werden möchte.

Eine Vermittlung kann in diesem Konflikt dennoch erreicht werden, indem der Veganismus eigens in die Realität zurückkehrt und den Kontext des Werbemittels sowie die allgemein gültigen und damit auch auf den Spot zutreffenden Konflikte der veganen Ernährungsweise in das Urteil einbezieht. Der Veganismus besinnt sich auf das größere Wohl der Aufklärung und erkennt, dass im Falle des Chocjes-Spots ein ausgeglichenes Maß der ‚Kommunikationsintensität‘ gefunden werden musste. Doch trotz der Akzeptanz stellt er so die eigenen Sehnsüchte (abermals) zurück, wodurch die bereits erweckte Ernüchterung zwar zunimmt, aber auch ein Einlassen auf das eigentliche Angebot des Spots möglich wird.

Die Marke als perfekte Illusion der Zukunft

Wir sind nun an der Stelle des Geschehens angelangt, an der das Werbemittel einen dramatischen Wandel der Atmosphäre ins Werk setzt.

Die finstere Darstellung des Leidens, die den Spot im vorherigen Verlauf dominiert hat, weicht nun einem farbenfroh-romantischen Bild und befreit das Seelische so aus der Beklemmung. Unterstützt wird dieser Bruch durch das einprägsame Bild eines Keimlings, der mit willensstarker Kraft aus einem Feldboden ausbricht, welcher alsbald auf den zweiten Blick als die zuvor gesehene Schokoladentafel erkannt wird. Die nahezu göttliche Erscheinung der Pflanze lässt sie mächtig und unaufhaltsam wirken, was im Erleben des Veganismus erneut für Hoffnung sorgt. Verstärkt wird dieser Eindruck mit dem fortführenden Ausbrechen weiterer Keimlingspflanzen, welche die herkömmliche Milchschokolade zunehmend und vor allem nachhaltig zerstören. Dieses Bild lässt sich dabei direkt auf den Veganismus selbst übertragen, dessen Gestalt und Wirksamkeit ebenfalls mit jeder neuen Überzeugung stärker wird. So gelangt der Veganismus in ein verträumtes Schwärmen hinein, wobei man von einer Welt fantasiert, in der für die Tiere kein Leid mehr bestehen muss und die Ungerechtigkeit schließlich ein Ende hat. Katjes bietet damit (im wahrsten Sinne des Wortes) eine Kostprobe der Zukunft an, die mit der Vermittlung und dank des Produkts in Aussicht stehen soll.

Wie allerdings schon zuvor im Zuge der Grundkonflikte des Veganismus angesprochen wurde, ist die Gegenbewegung auch zu dieser These des Werbemittels alsbald bedeutsam ausgeprägt. Denn an dieser Stelle entwirft die Marke ein veganes Ideal, für das der Veganismus selbst über die Zeit unweigerlich lernen musste, dass es in dieser Form vermutlich nie existieren kann, zumal dieser Gedanke von der unnatürlichen (und demnach unrealistischen) Farbe des pinken Katjes-Himmels nur weiter untermauert wird. Sobald sich der Veganismus aus der Traumwelt zurückbegibt, um den Frust der Hoffnungslosigkeit zu vermeiden, ist im Spot allerdings keine ‚realitätsnahe‘ (aber weiterhin hoffnungsvolle) Perspektive ausfindig zu machen. Das ‚Zu-Perfekt-Sein‘ der illustrierten Zukunft, ohne sich von einem realen, unperfekten Ausgangspunkt aus zu entwickeln, wird in Folge zu einem der größten Schwachpunkte des Chocjes-Werbespots. Denn wird die andere Seite der Spannung nicht geboten, geht das Seelische dieser ‚auf eigene Faust‘ nach, was sich in diesem konkreten Fall nicht als Vorteil für die Marke gestaltet. Insbesondere das mutmaßlich aktive Verstecken der Tatsache, dass sich innerhalb der Katjes-Palette weiterhin Produkte befinden, die sich am Wohl der Tiere vergreifen (darunter sogar Milch), sorgt schlagartig für eine tiefreichende Ablehnung der Marke und ihrer Absicht. Da das Wohl der Tiere unter diesem Aspekt kaum noch der Grund für das Engagement sein kann, bleibt nur der Profit als mögliche Erklärung, womit Katjes sich nicht nur einem, sondern gleich mehreren Maßgaben und Gesetzen der veganen Kultivierungsform widersetzt.

Die Aufgebrachtheit des Veganismus nach diesem Vergehen wieder zu stillen, stellt nun keine leichte Aufgabe dar. Für eine lange Zeit habe ich selbst vermutet, dass es an dieser Stelle keinen Weg zurück geben kann und die Vermittlung hier abbricht. Dabei ist der Spot durchaus in der Lage, den Veganismus unter Vorbehalt der irreversiblen Ernüchterung erneut zu besänftigen, indem er schlicht und einfach den Fokus von sich selbst abwendet und auf den eigentlichen Helden der Geschichte richtet: die Haferpflanze. Wie bereits angedeutet, spielen hier die Farben, darüber hinaus aber auch die Formen des Dargebotenen eine interessante Rolle. Denn im Vergleich zu der unrealistischen und aufdringlichen Katjes-Farbe wirkt sich die natürliche Farbe des vertrauten Hafers beruhigend auf die doch sehr anstrengende seelische (An-)Spannung aus. Besonders die Verwandlung des Hafers in die Hafer-Milch befördert die Marke buchstäblich in den Hintergrund und lässt das Seelische in den Sog einer ‚leidfreien‘ Milch eintauchen. Letztlich ist es jedoch die wellenartige Vereinigung der zwei Strömungen, die als eine Versinnbildlichung von ‚Ying‘ und ‚Yang‘ die schlechten Eigenschaften der Marke mit ihrer guten Absicht verschmelzen lassen und so in nahbarer, endlich realistischer Art und Weise ein erstrebenswertes Ziel vor Augen führen: den Veganismus voranzubringen. Und auf dieser Basis tritt das Spot-Erleben nun in eine letzte, entscheidende Dialog-Phase.

Das Angebot der ungewissen Erleichterung

Dass jetzt nach langem Erwarten das Produkt der Begierde – die vegane Chocjes-Schokolade – in den Spot eingeführt wird, erfüllt im Erleben des Veganismus einen ganz konkreten Sinn: Die soeben realistisch gewordene Sehnsucht einer verbesserten Realität greifbar zu machen. Bildlich erfolgt dieser Prozess mittels der fließenden und förmlich mitreißenden Hafermilch, welche im Laufe der Rezeption zum Symbol der Hoffnung geworden ist und nun mit einer erlebten Leichtigkeit in die neue, ‚gute‘ Schokolade übergeht. Der barrierefreie Übergang, der hier von der alten zur neuen Schokolade inszeniert wird, bringt noch einmal den Gedanken der nicht-veganen Zugänglichkeit auf, welcher hier jedoch nicht länger als Streitpunkt, sondern vielmehr als gemeinsame Perspektive erlebt wird. In gewisser Weise hat die verschmelzende Bewegung der Welle somit auch hier zu einer Vereinigung geführt, nämlich zu einem Produkt, welches von allen gemeinsam geliebt werden kann. Die Chocjes-Schokolade bietet damit die Möglichkeit auf einen ‚neujahrsartigen‘ Wendepunkt, mit welchem die Probleme zurückgelassen und eine neue, vielversprechende Zukunft in Angriff genommen werden kann.

Nun nähern wir uns mit dieser Aussicht jedoch immer mehr dem Ende des Werbemittels. Um die letzten Schritte der Schere verständlicher zu machen, möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass die vegane Ernährung im bisherigen Verlauf des Werbemittels wiederholt auf das Hervorheben von eigenen Wünschen und Sehnsüchten verzichtet hat. Und so kommen wir nun an einen Punkt, an dem sehnlichst auf den Moment gewartet wird, der einen selbst in den Mittelpunkt stellt. Der antizipierte Genuss der Schokolade hat dabei durchaus das Potential, dem Veganismus diesen Moment zu ‚schenken‘, den Katjes jedoch nun auf eine eher geringschätzige Weise ausspart. Dass ohne Vorwarnung auf jegliche Informationen zum eigentlichen Produkt, darunter auch der Geschmack, verzichtet wird, sorgt für eine erneute, schwere Enttäuschung in der veganen Rezeption. Abgesehen davon, dass dies ein eindeutiger Hinweis auf die fehlende Relevanz des veganen Publikums von Seiten der Marke ist, wird die erwartete und erhoffte Greifbarkeit mit den uneindeutigen Signalen der Schokolade nicht zureichend geboten, und das Werbemittel lässt den Veganismus in vielerlei Hinsicht mit der schweren Bürde einer offenen Gestalt zurück.

Was für das Seelische zunächst einen recht ‚ungemütlichen‘ Zustand bedeutet, wird für das Werbemittel nun entgegen allen Erwartungen jedoch zur substanziellen Chance, die Werbebotschaft endgültig an den Veganismus zu vermitteln. Abgesehen davon, dass ein neues veganes Produkt trotz des wachsenden Angebots noch immer ungern abgelehnt wird, ist die direkte und natürliche Antwort des Seelischen auf das Offen-Halten des Spots ein Verlangen nach Abschluss. Indem dies von dem unendlichen Hin und Her zwischen Zuneigung und Zurückhaltung, Hoffnung und Enttäuschung während der Rezeption nicht geboten werden kann, bleibt kein anderer Ausweg, als die endgültige Gestaltbildung von der Gegenwart in die Zukunft, auf das tatsächliche Probieren der Schokolade zu verlagern. Auch eine Verbesserung der Marke als solche, indem sie beispielsweise von ihren nicht-veganen Produkten absähe, könnte zu einem befürwortenden Kippen des aktuellen seelischen Gleichgewichts führen, allerdings liegt das außerhalb der eigenen Kontrolle. Oder nicht?

Denn noch fehlt ein wichtiger Punkt, um nun auch die Gestalt dieser Analyse zu vollenden. So ist die Annahme, dass der Erwerb der Chocjes-Schokolade eben diese gewünschte vegane Entwicklung von Katjes als Marke in Gang bringen kann, das wichtigste Argument für den Veganismus, sich schließlich der Werbebotschaft des Spots hinzugeben oder zu überlassen. Wie über die gesamte Untersuchung immer wieder ins Bild gerückt ist, ist das Erhalten eines heldenhaften, selbstlosen und aufopfernden Bildes seiner selbst einer der, wenn nicht sogar der grundlegendste Ansporn der ‚veganen Gestalt‘. Der Alltag ist somit von dem konstanten Risiko geprägt, dieses Bild durch Verlockungen, Selbstsucht und Kontrollverlust zu verlieren. Während solche Situationen allerdings im Alltag verteilt auftreten, konfrontiert der Spot den Veganismus ungefiltert und rasch hintereinander mit all diesen elementaren Konflikten, was schlussendlich eine sehr instabile Gestalt des begehrten Heldenbildes zurücklässt.

Der Spot bringt damit ein bestehendes Problem zutage, für das die Chocjes-Schokolade nun eine unmittelbare Lösung darstellt. Die vegane Ernährung erkennt, dass Katjes erst durch den unterstützenden Kauf ihrer neuen, veganen Schokolade zu der bisher unrealistischen, aber dennoch vom Veganismus erhofften Version ihrer selbst werden können, die im Verlauf des Werbemittels versprochen wurde. Auf diese Weise wird das Probieren der Schokolade zur Möglichkeit der Wiederherstellung oder zumindest der erneuten Festigung des eigenen Heldenbildes, während es gleichzeitig das zur Selbstlosigkeit gegenläufige Bedürfnis des Genusses bedient. Mit anderen Worten, die Schokolade sowie das dazugehörige Werbemittel vereinen Aufbau und Zerfall des veganen Heldentums in einem und werden damit der unabdinglichen Zweideutigkeit einer Morphologie des Seelischen gerecht. Und damit kehren wir nun zu der zu Beginn dieses Artikels aufgestellten These zurück, dass eine Eindeutigkeit im Seelischen nicht existieren, geschweige denn funktionieren kann.

Veranschaulichung der Scherenanalyse (zum anschauen, bitte klicken)

Das vegane Meerhäschen

Wie eine Ein-Deutigkeit das Seelische verkehren kann, zeigt sich in der dritten Ebene des Versionengangs. Allerdings entfernen wir uns für diesen folgenden Schritt nun vom Chocjes-Spot und nehmen den Veganismus als eine umfassende Kultivierungsform in den Blick. Inspiration und weitere Hinweise für eine solche Ergänzung stammen von dem im Umgang mit Märchen sehr versierten Psychotherapeuten und Wirkungsforscher Wolfram DOMKE, der unter seiner Leitung im Rahmen einer 4-semestrigen Ausbildung an der Kölner rheingold Akademie eine morphologische Studie zur Wirkungseinheit des Veganismus durchgeführt hat, die sich nun wunderbar mit den Erkenntnissen dieser Untersuchung kombinieren lässt. Durch die Auslegung der Ergebnisse der Werbespot-Analyse mittels des Märchens erhalten wir nach der aufgliedernden Scherenanalyse darüber hinaus nun einen ‚ganzheitlichen‘, abrundenden Eindruck von der veganen Gestaltbildung und ihrer paradoxen Bildlogik.

Wie die Überschrift dieses abschließenden Kapitels schon verrät, konnte DOMKE in seiner Untersuchung aufzeigen, dass die vegane Lebensweise ihre Wirklichkeit primär nach dem Muster des Grimmschen ‚Meerhäschens‘ gestaltet. Kombiniert mit SALBERs Märchenanalysen (1999, 2015) wird diese Ausgestaltung nun weiter ausgeführt.

Das Märchen handelt von einer Königstochter, die allein in einem Turm mit einem Saal mit 12 Fenstern lebte. Mit jedem dieser Fenster konnte sie mehr von ihrem Reich durchblicken, für das sie solch‘ einen Stolz empfand, dass sie es zukünftig nicht mit einem Gemahl teilen, sondern frei von jedweder Begrenzung sein wollte. So verkündigte sie, dass nur der sie heiraten dürfe, der es schafft, sich so zu verstecken, dass sie ihn trotz der allsehenden Fenster nicht entdecken könne. Sollte jedoch jemand den Versuch wagen und scheitern, wird ihm der Kopf abgeschlagen. Nach 97 gescheiterten Köpfen versuchen sich 3 Brüder an der Aufgabe, wobei die beiden ersten mit ihrem Leben bezahlen. Der jüngste Bruder erbittet sich danach einen Tag Bedenkzeit sowie drei Versuche. Die Königstocher willigt ein. Dennoch verzweifelt geht er erst einmal auf die Jagd und trifft auf einen Raben, einen Fisch und einen Fuchs. Alle drei bitten den Jungen, sie nicht zu töten, denn sie werden es ihm vergelten. Am ersten Tag des Verstecken-Müssens trifft er erneut auf den Raben, der ihm als Dank nun zu einem Versteck verhelfen soll. Der Junge kriech in eines der Rabeneier, auf das sich der Vogel dann setzte. Die Königstochter ward nervös, doch im 11. Fenster konnte sie ihn schließlich entdecken. Am zweiten Tag traf er den Fisch, welcher ihn in seinem Bauch am Grund des Sees versteckte, doch die Prinzessin entdeckte ihn im 12. Fenster. Am dritten und letzten Tag verwandelte der Fuchs den Jungen in ein ‚Meerhäschen‘ (siebenbürgisch-sächsisch für Kaninchen), während der Fuchs selbst zum Tierhändler wurde. In der Stadt wird die Königstochter auf das Tier aufmerksam und kaufte es für viel Geld. Durch den Hinweis des Tierhändlers schlüpfte das Meerhäschen zum Zeitpunkt der nächsten Suche unter ihren Zopf, sodass sie den Jungen auch beim Blick durch das 12. Fenster nicht ausfindig machen konnte. Wütend zerschlägt sie alle 12 Fenster und wirft das Meerhäschen zu Boden und aus ihrem Schloss. Der Junge kehrt in seine wahre Form zurück, die Königstocher fügte sich ihrem Schicksal und er wurde Herrscher ihres Reichs. Er behielt für sich, dass er sie bloß dank fremder Hilfe überlisten konnte, und sie blieb fortan in dem Glauben, er wäre ihr überlegen.

Zeichnung Wilhelm Salber

„… Der Jüngling ging geradezu in das Schloß. Die Königstochter wartete schon auf ihn und fügte sich ihrem Schicksal. Die Hochzeit ward gefeiert, und er war jetzt der König und Herr des ganzen Reichs. Er erzählte ihr niemals, wohin er sich zum drittenmal versteckt und wer ihm geholfen hatte, und so glaubte sie, er habe alles aus eigener Kunst getan und hatte Achtung vor ihm, denn sie dachte bei sich: ‚Der kann doch mehr als du!‘“

Der Veganismus ist in den Augen vieler eine radikale Form des Alltags. Abgesehen von der negativen Konnotation des Radikal-Seins ist diese Beschreibung der veganen Gestalt aber durchaus angemessen. Nur ist die Ausprägung einer solchen Radikalisierung sowohl inter- als auch intrapersonell gewiss recht unterschiedlich ausgeprägt. Ein weit verbreitetes Bild ist hier dennoch der strikte Ausschluss sämtlicher tierischer Elemente aus der eigenen Ernährung. Wird das Ganze weitergedreht, sollten dann aber zweifelsohne auch tierische Produkte wie Leder, Pelz, Kosmetik oder auch Tierversuche abgelehnt werden. Was ist mit den vielen Insekten, die bei der Ernte von pflanzlicher Nahrung umkommen? Und sollte ich meinen Hund wirklich bei mir als (m)einen ‚Gefangenen‘ halten?

Spitzt man den Gedanken des Tierwohls also zu, so gelangt man zügig an einen Punkt, an dem Tierisches ausnahmslos aus dem eigenen Leben verbannt werden muss. Seelisches findet sich hier in der Position der Königstocher wieder. Um das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung zu bewahren, schließt sie sich ein und alles, was diesen Zustand bedrohen könnte, aus – und zwar auf eine sehr radikale Weise. Jeder Mann, der sich ihr nähern möchte, wird ohne jedwedes Zögern stillgelegt. Was hier zunächst wie eine perfekte Distanzierung aussieht, eröffnet auf den zweiten Blick, dass im Distanz-Halten auch eine obsessive Gier zu finden ist. Das Beobachten ihrer Verehrer beim Versuch sie zu erobern, das auffällige Platzieren gescheiterter Köpfe vor dem Schloss und die Enttäuschung, wenn sich länger niemand ihrer Aufgabe stellt, zeigt die distanz-wahrende Anteilnahme der Königstochter und eine (sehr) insgeheime Sehnsucht (nach Erlösung von den selbst-auferlegten Zwängen).

Wie im Fall Fall der Koänigstochter mündet oder endet auch die starke Anteil-Nahme am Wohl der Tiere beim Veganismus paradoxerweise darin, diese ‚ganz und gar‘ aus dem eigenen Alltag zu verstoßen bzw. zu entfernen. Das radikale Zurückziehen in den Turm befähigt den Veganismus dazu, durch die allsehenden Fenster zu blicken und die Ungerechtigkeit der Welt wirklich als solche zu verstehen. In gewisser Weise kann sich hier erstmals auf ‚Äußeres‘ eingelassen werden, wenn sich dem ansonsten entzogen wird. Es ist, als wäre man im Geschehen durch die ‚triebhafte Lust‘ geblendet: Solange man dem Verlangen nach tierischen Produkten noch nachgeht, kann nie wirklich verstanden werden, wie schwerwiegend die vielfältigen Folgen eines solchen Begehrens sind. Tritt man einen Schritt zurück, wird das Bild deutlich klarer. Und jedes dieser zwölf Fenster steigert den Fanatismus des Durchblicken-Wollens.

Zeichnung Wilhelm Salber

Wie der Turm im Märchen jedoch verdeutlicht, geht mit dem befreienden ‚Empsteigen‘ auch eine starke Begrenzung einher. So ist es für den Veganismus tatsächlich elementar, das ‚Anderen‘ ersparte Leid in Maßen gegen sich selbst zu richten und diesen Zustand auszuhalten. Und wenn man der Aufgabe nicht gewachsen ist, sich nicht gut genug vor der Last der eigenen Lust verstecken kann, wird einem wie den Verehrern der Königstochter ‚der Kopf abgeschlagen‘. Sich auf den Veganismus einzulassen ist, wie auch der Rückzug der Königstochter oder die Teilnahme an ihrer Aufgabe, keine Pflicht. Im Märchen wird allerdings sowohl der Königstochter als auch den Männern die Erfüllung großer Wünsche in Aussicht gestellt: Im Falle der Prinzessin ist es die Freiheit der Selbstbestimmung und die Abschwächung der Angst vor menschlicher Nähe; für die Männer ist es das Erobern einer schönen Frau einschließlich ihres Reichtums. Der Veganismus sieht seine Belohnung in der Aufwertung des Selbstbildes und der Befreiung von jeglicher Schuldzuweisung. Allerdings eröffnet das Märchen auch die Perspektive, dass sowohl die im Turm eingesperrte, einsame Prinzessin als auch die toten Männer in einen ‚end-gültigen‘ Stillstand geraten sind, welcher Entwicklungen jeder Art unterdrückt. Erst durch den dritten Bruder kommt das Bild wieder in Bewegung. Was macht der Jüngste der drei Brüder also anders als die 99 Anwerber vor ihm?

Das Erste, was der 100. Jüngling anders macht, ist sich vor seinem Antritt einen Tag Bedenkzeit sowie drei, statt nur einen Versuch zu erbitten. Damit antizipiert und vor allem aber akzeptiert er die Notwendigkeit des Scheiterns, was ihm schon zu Beginn seiner bevorstehenden Entwicklung Raum zur Beweglichkeit gibt. Während ein Fehler für die anderen Männer unmittelbar das Ende bedeutet hat, kann der jüngste Bruder seine Reise trotz oder sogar dank der Hindernisse fortsetzen, die seiner Entwicklung eine neue Richtung verleihen. Ebenso sind Momente der Schwäche im Veganismus meist mit Schuld und Versagen verbunden, wobei es gerade die Momente des Zulassens sein können, die der Gestalt neue Stärke verleihen. Das ist aber noch nicht alles.

Ein weiterer elementarer Punkt in der Geschichte des jungen Mannes ist sein Umgang mit den Tieren, denen er auf dem Weg begegnet. Die Parallelität bzw. eine Entsprechung mit dem Veganismus ist nun nicht mehr zu übersehen, denn der Jüngling kommt letzten Endes nur zum Erfolg, weil er sich gegen das Töten seiner tierischen Gefährten entschieden hat. Anders als die Königstochter entscheidet er sich dagegen, alles Lebendige stillzulegen und jede Entwicklung im Keim zu ersticken. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass der Junge nicht aus reiner Selbstlosigkeit derart handelt. Denn nicht nur die Tiere bleiben durch diese Entscheidung lebendig, auch er erhält nur dadurch die Chance, fortan weiterleben zu können. An diesem Punkt des Märchens wird mehr und mehr deutlich, dass der Veganismus nach etwas ‚Äußerem‘ sucht, das dem ‚Eigenen‘ auf die Sprünge hilft. Auch der Veganismus braucht etwas Fremdes, Un-Eigenes, etwas Anderes, um zu leben und sich am Leben zu erhalten. Wie auch der Junge nutzt der Veganismus die (‚fremden‘) Tiere, um ‚Eigenes‘ aus der Bedrängnis befreien.

Kontrollverlust, geschädigter Selbstwert, Aussichtslosigkeit – der Veganismus kann seelische Anspannungen dieser Art erleichtern, indem er sich an etwas Äußerem bedient und der Auseinandersetzung mit dem Eigenen entzieht. Zugleich kann der Veganismus sich selbst in solche Missstände zwingen, und auch hier wird nach etwas ‚Fremden‘ Ausschau gehalten, wobei danach nicht selten bei sich, ‚in‘ der eigenen Person gesucht werden muss. In seiner Not lässt sich der Junge vom Unbekannten mitreißen. Erfolgreich ist dennoch erst der dritte Versuch. Was ist hier also anders?

Seine ersten beiden Versuche lösen in mir ein wohliges Unwohlsein aus. Er lässt sich auf eine Art von den Tieren vereinnahmen, die gleichzeitig behütet und übergriffig wirkt. Allerdings findet erst im dritten Versuch eine tatsächliche Verwandlung statt, die im Erleben entgegen den vorherigen Begegnungen mit einer angenehmen Leichtigkeit vonstattengeht, als hätte der Veganismus nach einer Episode innerer Unruhe einen Weg zum Frieden gefunden.

Interessant ist nun aber, dass dieser (er-)lösende Weg nur über eine List zu führen scheint. Nicht umsonst tritt das dritte Tier in Gestalt des Fuchses auf. Die Verwandlung in ein ‚Meerhäschen‘ erlaubt es dem jüngsten Bruder, die Königstochter aus ihrer Distanz zu locken und ihre eigenen Methoden gegen sie zu richten. Die liebliche Gestalt eines ‚Meerhäschens‘ bietet der Prinzessin und ihrer verborgenen Lust nach Nähe nun erneut eine Möglichkeit einer ‚kleinen‘ Anteilnahme, von der sie annimmt, dass diese keine Bedrohung für sie darstellt. Durch die unmittelbare Nähe des Häschens in ihrem Nacken muss sie feststellen, dass das Durchblicken aus der Distanz nicht länger erfolgreich ist, ein Einsehen, das auch ihrer stilllegenden Überkontrolle mit dem Zerbrechen der 12 Fenster ein Ende bereitet.

Wer dieses Verhalten nun als Überreaktion einschätzt, ist auf einem richtigen Pfad. Es scheint mir, als würde diese Niederlage der Königstochter durchaus gelegen kommen. Man könnte sogar behaupten, sie hätte dieses Schicksal für sich provoziert, indem sie dem Jüngling drei Versuche zusprach, um sich sich im Folgenden aus ihrem geschützten Raum zu begeben und etwas ‚Fremdes‘ an/in das ‚Eigene‘ heran- oder hineinzulassen. Wenn man genau hinsieht, hat also nicht nur der junge Mann die Prinzessin überlistet, sie hat es gewissermaßen auch selbst getan – aus seelischem Überlebens-‚Instinkt‘ oder dank einer ‚geheimen Intelligenz‘.

Das Märchen des ‚Meerhäschens‘ behandelt laut SALBER die seelische Ambivalenz der Überkontrolle und dem Sich-Einlassen-Wollen. Wir können hier erleben, wie der Versuch einer perfekten Distanzierung an der Notwenigkeit des Sich-Verwandelns scheitert. So läuft auch der Veganismus als Ebenbild des Märchens regelmäßig Gefahr, sich in der perfekten Distanzierung von Tierischem zu verlieren, was in diesem Fall nicht nur seelischen, sondern auch körperlichen Verfall bedeuten würde. Im Gegenzug würde ein unendliches Mitreißen- und Verwandeln-Lassen in einer derart unberechenbaren Wirklichkeit münden, dass auch in dieser Tendenz eine Verkehrung zu finden sein kann. Die Kunst der veganen Gestalt besteht demnach darin, sowohl Begrenzung als auch Verwandlung als Teil der eigenen Entwicklung anzuerkennen und immer wieder zu erproben, wie es auch der 100. Anwärter der Aufgabe tat, die sonst zum Scheitern verurteilt ist.

Zeichnung Wilhelm Salber

Auch, wer sich für den Veganismus entscheidet, ist in letzter Konsequenz zum Scheitern ‚verdammt‘. Die Überkontrolle zwingt uns zur leidvoll-eingrenzenden Aufopferung, während Locker-Lassen uns schließlich die Belohnungen einer veganen Gestalt verwehrt. Am Ende können nur diejenigen bestehen, die sich nicht davor scheuen, die Regeln in Begrenzung zu beugen, sich selbst gelegentlich zu überlisten und in Zeiten der Aussichtslosigkeit auf Fremdes einzulassen, um Neues entstehen zu lassen.

Bezieht man diese Einblicke nun noch einmal auf den Chocjes-Schokoladen-Spot, dann wird deutlich, dass Katjes in nur 20 Sekunden die glanzvolle Leistung erbracht hat, den Veganismus umfassend in den grundlegendsten Mustern seiner Wirklichkeitsbehandlung aufzugreifen. So beruht der prägnanteste Konflikt der Rezeption darauf, dass der Spot seinem veganen Publikum Tendenzen der Überkontrolle nahelegen möchte, ohne sich dabei selbst in der Verantwortung dazu zu sehen – als würden sie die Aufgabe der Königin meistern, ohne dem eigenen Tod gegenübergestanden zu haben. Andererseits kann sich der Veganismus durch den Spot von seiner kontrollierten Zurückhaltung lösen, unterdrückte Konflikte austragen und sich von den Entwicklungsmöglichkeiten durch das neue Produkt mitreißen lassen. Katjes wird damit zu dem Fuchs, der dem Veganismus dazu verhilft, die (eigens) auferlegten Aufgaben nachhaltig zu bewältigen: durch Beweglichkeit statt Stillstand. Was dem Werbemittel zum Ende hin noch fehlt, ist die Anerkennung der Königstochter und dem, was sie bisher geleistet hat. Zuletzt erhält nur der Jüngling ihre Würdigung und sie geht leer aus. Dabei konnte er überhaupt nur durch sie am Leben blieben und ‚groß‘ werden, so wie Katjes nur durch den Veganismus weiter wachsen kann.

Abschließende Worte

Da unsere gemeinsame Reise sich nun dem Ende nähert, möchte ich zuletzt noch einmal die konkrete Bedeutung dieser Erkenntnisse betonen. Denn mit dem stetigen Wachstum und der vermehrten Integration der Gestalt des Veganismus in der aktuellen Gegenwartskultur, lohnt es sich in vielerlei Hinsicht, genauer hinzusehen. So konnte allein diese Untersuchung einen enormen Einblick in die vegane Welt bieten sowie durch ein besseres Verständnis der bestimmenden Spannungen den Umgang mit dieser vereinfachen und vor allem aber, die Möglichkeiten des bedachten Handelns für Einzelpersonen und Unternehmen eröffnen. Im speziellen Fall von Katjes und ihrem Chocjes-Spot konnten sowohl sehr starke Mechanismen, aber (trotz der abschließenden Vermittlung) auch einige Schwächen herausgestellt werden, die mit einer zukünftigen Rücksicht-Nahme allerdings zu einer umso kraftvolleren Überzeugung werden können. Als beispielhafter Hinweis: So könnte allein die Einsicht der Marke, dass sie (u.a. aufgrund ihres nicht-veganen Angebots) selbst noch nicht gänzlich an einem Punkt des veganen Ideals angelangt ist – den sie sich für die Zukunft jedoch wünscht –, welcher die drastischste Gegenbewegung des Spots durch direktes Aufgreifen der Problematik zu lindern und die nachhaltige Enttäuschung des Veganismus maßgeblich zu reduzieren vermag. Und auch, wenn sich diese Anpassungen vor allem im erfolgreichen Verkauf bemerkbar machen, ist diese Aufmerksamkeit im Fall des Veganismus auf vielen weiteren Ebenen von Bedeutung. Als Symbol der strikten Moral zeigt er sich als Lösung vielerlei Probleme der heutigen Kultur, weshalb seine ‚heldenhafte‘ Wirkung sich von nun an vermutlich noch weiter in unseren Alltag ‚einschleichen‘ wird.

 

 

Anmerkungen

[1]Die morphologische Scherenanalyse wurde von Christoph B. MELCHERS entwickelt. Er promovierte zur ‚Wirkungspsychologie nationalsozialistischer Propagandafilme‘ und leitete aus seinen Erkenntnissen schließlich die Struktur des Beeinflussungsmodell nach dem Aufbau einer ‚Telefonschere‘ ab. Die klassische „Scherenanalyse“ folgt dabei einem eher argumentativen, rationalisierenden Prinzip. MELCHERS hat zu diesem Modell bereits 1997 angemerkt, dass schon damals nicht mehr jedes Werbemittel diesem Muster folgt und sich andere Formen von Beieinflussung entwickelt hatten, die eher einer filmischen „Komplexentwicklung“ und einer dementsprechenden Bildlogik entsprachen. Diese Untersuchung stellte sich jedoch die Frage, ob TV-Spots auch in der Gegenwart noch nach der Scherenlogik funktionieren können. Als weiterführende Literatur zu den neuen Werbeformen empfehlen sich die beiden Artikel „Funktionsprinzipien wirksamer Werbung“ und „Aktuelle Verfahren der Werbeforschung“ von Melchers, Kretz und Rudolf in der Zeitschrift „planung&analyse“ (1997).

2Alle in diesem Artikel vorhandenen Bilder sind Ausschnitte aus dem hier untersuchten Werbemittel (https://www.youtube.com/watch?v=YQ72QQaKRaA).

3Die in diesem Beitrag vorgestellten Erkenntnisse sind Ergebnisse einer empirischen Studie, die als Bachelor-Thesis zum Abschluss des Studiums der ‚Wirtschaftspsychologie‘ an der BSP durchgeführt wurde (s.u.). Im Falle einer morphologischen Studie basiert eine solche i.d.R. auf 5-8 morphologischen Interviews (s. Tabelle zur Stichprobe), die im Zuge der weiteren Gegenstandsbildung über die beiden ersten Versionen (nach Fitzek: Grundqualität [1. Version] und Wirkungsraum [2. Version] entwickelt werden und mit einer ‚Psychologisierenden Fragestellung‘ abschließt. (Die Fortsetzung einer Morphologischen Gegenstandsbildung über die 3. und 4. Version ist einschließlich des ‚Ins-Bild-Rückens‘ im Austausch mit einem Märchen für Master-Arbeiten vorgesehen.) (Anmerkung A.S.)

Literatur

Everding, J. (2019). Eine qualitative Wirkungsanalyse zu Verwendungsmotiven von bewusster Ernährung – innerhalb der Generation Y. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, BSP Business School Berlin.

Fitzek, H. (2010). Morphologische Beschreibung. In: Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.). Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (692-706). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Katjes Fassin GmbH + Co. KG (2019)2. Katjes Chocjes TV Spot – Jedes Leben ist wertvoll [Werbespot]. Abgerufen am 03.07.21 von https://www.youtube.com/watch?v=Zoazx5UTw6s

Melchers, C.B. & Ziems, D. (2001). Morphologische Marktpsychologie. Ein Booklet zu Philosophie, Tools und Erhebungsmethoden (1. Auflage). Köln: ifm Wirkungen + Strategien GmbH.

Mindt, A. (2021). Qualitative Werbemittelanalyse des Katjes Chocjes TV-Spots „Jedes Leben ist wertvoll“ aus der Perspektive von Verfolgern einer veganen Ernährung der Generation Z. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, BSP Business School Berlin.

Salber, W. (19992). Märchenanalyse. Bonn: Bouvier.

Salber, W. (2015). „…Und was ist nichts?“ (Das Meerhäschen). In: anders – Zeitschrift für Psychologische Morphologie 22. Bonn: Bouvier.

mindt

Autor:in

Anika Mindt hat Ihren Bachelor in Wirtschaftspsychologie mit psychologisch-morphologischem Schwerpunkt (B.Sc.) Derzeit im Masterstudium zur Medienpsychologie (M.Sc.) mit morphologischer Vertiefung und Ausbildung zur Analytischen Intensivberaterin, BSP Business & Law School Berlin Arbeitsschwerpunkte: Psychologische Morphologie, Medienwirkungsforschung, Wirkungs- und Handlungseinheiten, Analytische Intensivberatung.

Kontakt: anika.mindt@student.businessschool-berlin.de

Nach oben