„Es wie die Gänsemagd machen“ – Die Arbeit mit Märchen im Bereich Coaching und Personalberatung*

Ich habe ein Märchen mitgebracht, die ‚Gänsemagd‘, das ist zugleich der Titel meines ersten Buches über den Einsatz von Märchen im Coaching. Dazu ein Fallbeispiel aus meiner Praxis, an dem ich aufzeigen möchte, wie ich das mit den Märchen im Coaching handhabe.

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Autor:in

Petra Jagow, Jahrgang 1963, hat angeregt durch die Bücher von Sigmund Freud Psychologie in Köln studiert und sich auf Wirtschaftspsychologie spezialisiert. Seit 25 Jahren setzt sie ihr Wissen in der Arbeitswelt ein und berät Einzelpersonen, Teams und Unternehmen. Ihr Spektrum von COACHing & Branding reicht von typischen beruflichen Herausforderungen bis zur bestmöglichen Präsentation von Person, Angebot und Marke. Methodisch greift sie dafür auf Grimms Märchen zurück, die anschaulich bestimmte Themen darstellen. Die Märchenbilder und Qualitäten zeigen Entwicklungsmöglichkeiten und neue Perspektiven auf. Ihre Kunden schätzen diesen ‚märchenhaften‘ Ansatz. Erkenntnisse lassen sich so gut nachvollziehen und für das eigene Leben leichter umsetzen.

Kontakt: mail@petra-jagow.de

„Es wie die Gänsemagd machen“ — Die Arbeit mit Märchen im Bereich Coaching und Personalberatung*

Illustration zu „Die Gänsemagd“ von H.J. Ford (1889)

Vorspann

Ich habe ein Märchen mitgebracht, die ‚Gänsemagd‘, das ist zugleich der Titel meines ersten Buches über den Einsatz von Märchen im Coaching. Dazu ein Fallbeispiel aus meiner Praxis, an dem ich aufzeigen möchte, wie ich das mit den Märchen im Coaching handhabe.

Das Bild, das Sie hier sehen, ist eine für das Buch entworfene Illustration, die nach meinen Vorschlägen erfolgt ist. Da es in der ‚Gänsemagd‘ – kleiner Spoiler – um oben und unten geht, haben wir das Motiv vom Cover auf der Rückseite gespiegelt. Und da fällt direkt das ‚unten‘ von vorne oben ins Auge, der Pferdekopf im Wasserverlauf…

Zur Ankündigung möchte ich noch sagen, ich setze Märchen häufig im Coaching ein, seltener in der Personalberatung. Doch auch da machen Märchen Sinn, deshalb gibt es am Schluss ein paar Beispiele aus meiner Beratung.

Einstieg ins Thema

Wer kennt das Märchen von der ‚Gänsemagd‘ überhaupt? Meiner Erfahrung nach ist das Märchen weniger bekannt bis man sagt, das ist das Märchen mit dem sprechenden Pferd ‚Fallada‘. Das kennen dann doch viele, also wie bei einer populären Figur. Dazu passt das Foto, was ich mitgebracht habe.

Das ist aus dem Grimms Märchen Museum in Kassel – das Restaurant dort heißt ‚Fallada‘ und das Logo hat diese elegante Form mit dem Pferdekopf und dem Weinglas als Blesse…

Zurück zum Thema, im sechsten Semester der IB [Intensivberatungs-Ausbildung] kamen die Märchen auf.

Ich fand das sehr spannend, konnte mir damals allerdings nicht vorstellen, dass ich das mal in meine Arbeit integriere.

In 2002 kam eine Wirtschaftsjuristin als Klientin, die war sehr tough und hat mich eingeschüchtert. Beruflich hat sie Unternehmen in die Knie gezwungen mit einem enormen Standing. Sie hatte ein ganz konkretes Anliegen, aber es war völlig egal, was ich sagte. Sie sagte immer nur ‚so nicht‘. Da ließ sich gar nichts in Bewegung bringen. Da habe ich lange überlegt, woran erinnert mich das dieses abwehrende ‚so nicht‘? An das Märchen vom Drosselbart! Witzigerweise kam sie zum nächsten Termin in einem olivfarbenen Kleid mit einer Halskette, sie sah zum ersten Mal weiblicher und weniger tough aus. Da habe ich das Märchen ‚Drosselbart‘ eingebracht. Über das Märchen wurde sie plötzlich ganz ruhig und wir konnten uns zusammen angucken, was passiert, wenn man immer ‚so nicht‘ sagt. Am Ende des Tages sitzt man an der Ecke mit der Keramik und da reitet einem einer durch, das ist nicht schön. Das ist jetzt etwas plakativ, halt mein erster Versuch, aber es hat funktioniert.

Denn sie konnte sich eingestehen, dass das ja ihre insgeheime Sorge zu dem Zeitpunkt war: Ganz toll im Job, aber privat sehr einsam, schon 39 Jahre mit Kinderwunsch und kaum Beziehungserfahrung. Ich war sehr beeindruckt über das Können des Märchens. Das hat mich ermutigt, weiter damit zu arbeiten.

Reaktionen

Die Coaching Klienten wissen nichts über den Einsatz von Märchen im Coaching. Sie sind eher überrascht, wenn ich das anspreche.

„Gucken Sie mal, wie sich das bei Ihnen im Leben verhält, das könnte man sich jetzt sehr gut klarmachen an diesem Märchen.“

Die Märchen sind häufig bekannt, das wirkt irgendwie niederschwellig und ungefährlich. Das klingt vor allen Dingen nicht so psychologisch, und das ist ein ganz entlastendes Moment.

„Ich bin nicht alleine mit dem Thema, das ist bei anderen auch schon mal vorgekommen…“

Das nimmt Dramatik heraus in einem positiven Sinn. Im Vordergrund ist Neugier, wie sich das denn jetzt wohl verhalten mag. Bei Organisationen und Unternehmen fehlt in der Regel diese Aufgeschlossenheit. Das wird aus Präsentationen herausgestrichen. Trotzdem bleibe ich dabei und greife das immer wieder auf in der Beratung.

„Sie erinnern sich, wir hatten das mal herangezogen das verhält sich so und so, und aus dem Märchen heraus finde ich die Entwicklung, die Sie jetzt schildern, gar nicht überraschend.“

Es wird als mein methodischer Bezugsrahmen verstanden. Es wird nicht aktiv aufgegriffen, aber irgendwann erkennen die Auftraggeber, das ist interessant und stichhaltig. Für mich ist das bei spontanen Fragen ein Rüstzeug, an dem ich mich gut orientieren kann. Mir gibt das Märchen Sicherheit, weil ich darüber etwas zügig einordnen kann.

Coaching

Wenn jemand ins Coaching kommt, betrachten wir das ganze Leben, nicht nur ‚die berufliche Seite‘. Die Klienten kommen zunächst mit einem bestimmten Thema und damit starten wir im Erstgespräch. Wir sammeln Einfälle zu dem Anliegen und der Idee, sich damit an einen Profi wie mich zu wenden. Ergänzend mache ich eine Einschätzung auf die Gestalt, die Methoden, das Krisengefühl und den Veränderungsdruck. Je höher der ist, desto günstiger für die Prognose.

Das finden die Klienten nicht schön, aber wenn es nicht wirklich weh tut, dann ist die Bereitschaft, mal was anders zu machen, nicht so hoch. Wenn die Bank schon angerufen und gesagt hat, wir streichen jetzt die Kreditlinie und das Unternehmen ist damit kurz vor der Insolvenz, erhöht das die Bereitschaft etwas auszuprobieren ungemein.

Nach der Einschätzung mache ich den Vorschlag, wie wir uns das Anliegen und mögliche Ursachen ganz klassisch über die Verkehrungserfahrung erschließen werden. Es ist für die Klienten wichtig, dass sie sehen, wir werden uns das unter bestimmten Aspekten anschauen und das hat strukturell Hand und Fuß. Ich warne vor, dass der erste Termin der schwierigste sein wird, weil wir Dinge sehen werden, die nicht so gut gefallen. Aber es hilft nichts, da muss man durch, sonst bleibt es auf der Basis von allgemeinen Ratschlägen.

Die Klienten entscheiden sich in der Regel am Ende des Erstgesprächs, nachdem Konditionen und Kosten geklärt sind, für einen Termin. Manchmal deute ich an, dass noch ein Märchen zur Veranschaulichung dazukommen kann. Die positive Entscheidung wird gestützt durch die Empfehlungen, über die Klienten in der Regel kommen. Ich bitte auch selbst um Empfehlungen und Kundenstimmen für die Website. Das ist die beste Werbung meiner Erfahrung nach. Als Tipp für die Selbständigen und die in Planung, Kundenstimmen mit Namen, Position und Foto wirken am stärksten, aber auch anonym kann eine gute Beschreibung des Anliegens und der gefundenen Lösung die Entscheidung für eine Kontaktaufnahme positiv beeinflussen.

Im ersten vereinbarten Termin versuchen wir die Verkehrungserfahrung auf eine Wenn-Dann- Formulierung zu bringen, weil sich darin die tiefen (unbewussten) Überzeugungen widerspiegeln.

„Wenn ich alle Erwartungen bediene, dann wird es mir gut gehen, dann wird man mich leiden mögen. Oder wenn ich alle ‚please‘, gibt es keinen Ärger.“

Das stimmt so nicht mehr, genau deshalb sind die Klienten gekommen. Diese ‚alte‘ Form ist an ihre Grenzen gestoßen. Es geht ihnen nicht gut und sie haben sehr wohl Ärger. Deshalb überlegen wir ja, wie kann das anders gehen? Wie könnte ein ‚neuer‘ Satz lauten? Dieser neue Satz gibt Sicherheit und arbeitet wie ein Motto für anstehende Situationen.

Wir kennen jetzt typische Situationen und überlegen zusammen, wie könnte die Situation das nächste Mal anders verlaufen? Wie könnte die Person sich anders positionieren, sich anders vorbereiten, sich vielleicht mit einem Statement-Satz ausrüsten, den sie ruckfrei zu ihrem Schutz sagen kann?

So gerüstet ziehen die Klienten los und probieren das aus. Häufig kommen sie zum zweiten Termin und berichten – es hat funktioniert! Das gilt es zu feiern und in den Fundus aufzunehmen. Nicht direkt weiter zur Klage über all die Dinge, die noch nicht funktionieren.

Für mich ist der erste Termin auch der härteste. Ich spüre den Druck, etwas heraus zu finden, womit wir konkret arbeiten können. Ich arbeite in jedem Termin so, dass danach etwas in Umsatz gebracht werden kann. Das hängt damit zusammen, dass ich überwiegend Selbstzahler habe, bei denen ich nicht sicher sein kann, wie viele Termine wir gemeinsam haben werden.

Zuordnung Märchen

Manchmal ergeben sich erste Einfälle zum Märchen bereits im Erstgespräch, manchmal dauert es länger, bis mich bestimmte Qualitäten oder markante Züge auf die entscheidende Idee bringen. Mit dieser Anmutung stelle ich dann ein paar ‚Fangfragen‘, ob sich weitere Aspekte des Märchens wiederfinden lassen.

Wenn ich sicher bin, dann führe ich das Märchen ein mit einer Kurzfassung wie von Professor Wilhelm Salber in der ‚Märchenanalyse‘. Wir betrachten das zusammen und was es auslöst. Danach binden wir es ein in das Anders-Machen. Für mich hat das Märchen den unheimlichen Charme, dass ich darüber Gewissheit gewinne. So wie im Hauptbild hat die Klientin, der Klient es bisher gemacht. Die Entwicklungsbotschaft sitzt im Nebenbild, wie es (wieder) in Fahrt kommen kann.

Stichwort ‚Fangfragen‘

Im Buch finden sich zu Beginn eines Kapitels Fangfragen, um das Märchen zu erkennen zu können, für sich oder bei anderen.

Das Zentrale eines Märchens habe ich verdichtet – bei der ‚Gänsemagd‘ geht es z.B. um

  • Wie wichtig ist Ihnen eine herausgehobene Position?
  • Sind Sie jemand, der in kurzer Zeit gleichzeitig viel organisieren und arbeiten kann?
  • Träumen Sie insgeheim von großer Nähe, Harmonie und Innigkeit?
  • Gibt es Situationen, in denen Sie sich ärgern, aber einfach nicht sagen

können?

  • Ärgern Sie sich noch lange nach der Situation über Ihr Schweigen?
  • Hängt Ihr Ärger mit idealen Erwartungen zusammen, wie es eigentlich sein sollte?

Fallbeispiel

In 2009 meldet sich eine erfolgreiche Unternehmerin per Mail. Sie will mich für ein halbes Jahr einmal die Woche für einen Termin buchen. So lasse ich mich nicht beauftragen, deshalb habe ich geantwortet, dass ich mich sehr freue und ob wir nicht erstmal mit einem aktuellen Thema starten können.

Dem hat sie zugestimmt, denn das dringende Anliegen war – ein Medientraining. Sie hatte bereits ein teures Training und war trotzdem bei einer Podiumsdiskussion kaum zu Wort gekommen. Ihre Hoffnung war, ich könnte ihr quasi ‚aufs Pferd‘ helfen. Aber ihre Art und Weise an mich heranzutreten, die war total vom ‚hohen Ross‘ herunter. Da konnte ich mir schon vorstellen, dass so etwas dem Moderator bei ihrem zurückliegenden Auftritt überhaupt nicht gefallen hat.

Das Medientraining haben wir telefonisch gemacht. Sie wollte sagen, dass sie eine Unternehmerin ist, die Frauen fördert und Wiedereinsteiger… Mein Vorschlag war – erstmal (beeindruckende) Fakten – was Ihr Unternehmen macht, wie viel Mitarbeiter sie haben, wie viel Umsatz sie machen und wie lange sie schon in der Branche als die international Größten in Europa in dem Bereich operieren. Sie war überrascht und konnte sich das erstmal nicht vorstellen. Ich habe argumentiert, dass wir den Moderator positiv beeindrucken wollen, damit er nicht auf die Idee kommt, ihr das Wort abzuschneiden. Das hat sehr gut funktioniert und sie konnte viele Inhalte platzieren.

Danach haben wir uns persönlich getroffen für ein richtiges Erstgespräch. Sie war zu dem Zeitpunkt so Mitte 40 und kam aus einer Familie mit Migrationshintergrund. Zwar waren ihre Eltern selbständig, aber trotzdem finanziell sehr klamm mit fünf Kindern. Sie hat die ganze Jugend über immer davon geträumt, dass sie mal anders leben können wird. Als älteste Tochter hat sie früh schon viel mitgearbeitet. Morgens und nach der Schule hat sie den Vater im Geschäft unterstützt, dazwischen die Mutter im Haushalt und mit den jüngeren Geschwistern. Die Erziehung war äußerst autoritär. Der Vater hat getrunken und geschlagen und die Mutter hat die Kinder nicht wirklich geschützt.

Um keinen Ärger zu provozieren, hat sie sich unglaublich bedeckt gehalten und ganz viel gearbeitet, um da durchzukommen. Das ist so das, was sie so über ihr Leben erzählt. Und sobald sie konnte – mit 16 – ist sie für eine kaufmännische Berufsausbildung zu ihrer Tante gezogen. Sie hat sich ständig weitergebildet und als junge Frau hat sie einen Mann kennengelernt. Der war nicht nur an ihr als Frau interessiert, der wollte mit ihr zusammen ein Unternehmen gründen. Gesagt, getan. Das wurde ein Erfolg!

Sie hat ganz vieles schon erreicht in ihrem Leben, was ihr immer wichtig war. Doch es finden sich Störstellen im Alltag, wo sie plötzlich verstummt, wenn man sie angeht. Das regt sie doppelt auf. In der Situation selbst regt die oder der Andere sie auf und danach nimmt sie sich ihr Verstummen übel.

Um mir das zu verdeutlichen, schildert sie mir eine Situation mit der Putzfrau. Sie hatte herausgefunden, die Putzfrau macht nur den ‚kölschen Wisch‘, also eher so um die Dinge herum ohne etwas wegzurücken. Also waren Staubflocken hinter den Sofakissen. Das wollte sie auch saubergemacht sehen. Die Putzfrau entgegnete schnippisch,

 „So viel Zeit bezahlen Sie mir nicht.“

Wir erkennen zusammen, dass sie sich in Auseinandersetzungen total zurücknimmt wie früher zuhause. Sie arbeitet weiter selbst viel, sagt nichts, deeskaliert dadurch und hofft, der Ärger trifft nicht sie. Bei der Putzfrau ging es ihr genauso, sie fühlte sich von der nach unten gedrückt und konnte nichts mehr sagen. Tatsächlich hat die Putzfrau das gar nicht getan, die hatte nur einen berechtigten Einwand geäußert. Darüber hätten beide in Verhandlungen kommen können. Genau das ist ihr aber nicht möglich.

Sie ist entweder auf dem hohen Ross oder ganz unten, das springt und es gibt scheinbar nichts in der Mitte. Entweder sehr bestimmend oder total unterwürfig, ohne jeden Übergang. Einmal unten gelandet, kann sie nichts mehr sagen. Das hat mich auf die Idee der ‚Gänsemagd‘ gebracht, denn dieses Springen der Position ist das zentrale Merkmal in dem Märchen.

Kurzversion

Eine Königin gibt ihrer Tochter ein Tuch mit Blutstropfen mit, als diese zur Vermählung in ein fremdes Land reist mit der Kammerzofe. Nach Verlust des Tuches verlangt die Zofe den Tausch von Pferd und Kleidern und reist als vermeintliche Prinzessin an diesen fremden Königshof. Die echte Prinzessin wird als Gänsemagd eingesetzt und berichtet dem sprechenden Pferdekopf Fallada am Torbogen von ihrem Leid. (Das war ihr Pferd gewesen, das getötet wurde, damit es nichts verraten kann.) Das hört ein Junge, der das dem König schildert. Dieser bietet ihr zur Aussprache seinen Eisenofen an, hört aber aufmerksam zu, was sie da so erzählt. Als er Bescheid weiß, wie sich alles verhält, fragt er die falsche Prinzessin, was sie meint, was eine angemessene Strafe für so ein Vergehen wäre? Sie sagt etwas wie Teeren und Federn und das bekräftigt der König. Diese Strafe wird ihr zuteil.

Bei der ‚Gänsemagd‘ lässt es sich weniger in Haupt- und Nebenbild ordnen. Hier sind es vor allen Dingen zwei getrennte Kreise. Dieser Wunsch, nach oben zu gelangen, in diese Position immer verbunden mit der Furcht, wieder nach unten zu geraten, zu verarmen. Dieses harte Arbeiten können, dadurch wirklich aufsteigen, sich schlecht wehren können, dann, wenn sie so in so eine runtergedrückte Position geraten ist. Am Ende ist sie dann doppelt verärgert gegen andere und gegen sich selbst. Ein Grund dafür ist, dass sie nichts sagen kann. Diese unglaubliche Sehnsucht nach Innigkeit und die sehr hohen Idealvorstellungen verhindern ihre Äußerung. Das ist etwas, was für viele Coaching Klienten gilt, nicht nur für ‚Gänsemägde‘. Wenn die nicht diese hohen Ideale hätten, wäre vieles leichter zu ertragen. Die Realität kann immer nur abfallen gegen das Ideal.

Die Entwicklung hier bedeutet, aus diesem starren Oben und Unten herauszukommen bzw. das beweglich zu halten und auf dem Weg einen eigenen Standpunkt zu finden und den zu vertreten. Also mal was zu sagen, wie man etwas sieht. Und idealerweise frühzeitig etwas zu sagen. Denn sonst bekommt das lange Aufgestaute so eine Wucht, dass es verbrannte Erde hinterlässt. Und um da mal so reinzukommen, macht es immer Sinn, sich einen ‚Eisenofen‘ wie im Märchen zu suchen, wo man erst mal gefahrlos etwas sagen kann.

Wir haben überlegt, wie könnte das denn jetzt aussehen, dass sie das mal ausprobiert, frühzeitig etwas zu sagen? Sie hat dann – wie viele andere Klient:innen – den privaten Bereich gewählt. Das Berufliche fand sie viel zu gefährlich.

Also fand der erste Versuch am Wochenende statt. Sie hat ein neues Rezept gekocht und ihr Partner turnte um sie herum in der Küche. Dabei hat er sie beschulmeistert, wie sie das noch anders und besser machen könnte. Das hat sie genervt. Früher hätte sie nichts gesagt, sich zu Tode geärgert in der Situation und noch mehr danach. Dieses Mal schafft sie es, etwas zu sagen. Er soll das lassen, weil es ihr nicht hilft und sie in Ruhe kochen will. Todesmutig hat sie ihren eigenen Standpunkt bezogen und es ausgesprochen. Sie hatte große Angst, dass jetzt dadurch alles Mögliche abbricht. Der Abend war dann auch gelaufen. Man hat schweigend das Essen in sich hineingeschaufelt, dann ging jeder in sein Zimmer. Dort wurde ihr klar, wie das sonst gelaufen ist. Sie hätte gedacht, ich bin so doof, ich kann nicht mal kochen. Und jetzt war es zum ersten Mal so, dass sie dachte

„Hey, ich habe mir jetzt gar nichts sagen lassen und mir hat das total gut geschmeckt. Das heißt, ich kann da was.“

Das heißt, sie ist zum ersten Mal zu einer eigenen, unabhängigen Einschätzung gekommen. Das war der Durchbruch. Es wurde noch besser, denn im Laufe des nächsten Tages hat der Partner sich entschuldigt, sie kamen ins Gespräch und konnten auch über den Abend und seine Kommentare reden. Er hatte das nicht böse gemeint, wusste nur in der Situation selbst nicht, wohin mit sich. Wir feiern diesen Erfolg und halten fest, diese Erkenntnis lässt sich auch auf andere Situationen übertragen.

Da gibt es aufmüpfige Mitarbeiter, eine missgünstige Familie, eine übergriffige Tante und unverschämte Dienstleister. Zug um Zug zieht sie jetzt los und räumt in diesen Verhältnissen auf. Wir sind in 2009 gestartet und einen richtigen ‚Coaching-Termin‘ zu so einer Frage hatten wir das letzte Mal in 2019.

Als Nachtrag möchte ich noch sagen, dass ich sehr stolz bin auf diese Klientin. So eine Art von Arbeit ist sehr reizvoll und befriedigend.

Personalberatung für diese ‚Gänsemagd‘

Der blinde Fleck der ‚Gänsemagd‘ mit dem Oben und dem Unten zeigte sich im Unternehmen in der Personalauswahl und wirkte sich dort ebenfalls störend aus.

Sehr häufig wurden Mitarbeiter engagiert, die schon im Bewerbungsgespräch fordernd und selbstbewusst auftraten – die wollten sechsstellig verdienen plus Dienstwagen. Die Schlussfolgerung war dann, wer so viel fordert, der muss ja was ganz Tolles können. Die saßen auf dem hohen Ross und sie hat sich als Arbeitgeberin ganz unten gefühlt und konnte dem keinen eigenen Standpunkt entgegensetzen.

Die anderen, die sie eingestellt hat für das Unternehmen, das waren

Leute für kleines Geld von der Zeitarbeit. Denen wurde gesagt, du musst dich hier erstmal von unten nach oben arbeiten. Beides war eher geschäftsschädigend. Die mit den hohen Forderungen mussten in der Regel teuer abgefunden werden. Das hat viel Lehrgeld gekostet. Bei denen von unten war ab und zu eine Perle dabei, die man ‚gefunden‘ hat. Aber viele Gute haben sich diese Behandlung von oben herab so nicht bieten lassen, die sind gegangen.

Als uns das auffiel, haben wir lange überlegt, was macht jetzt Sinn? Wir haben entschieden, dass ich Vorgespräche mache, um zu sondieren. Die mit hohen Forderungen und die von ganz unten habe ich aussortiert und die mit Potential wurden eingeladen und zu fairen Konditionen engagiert. Nach und nach ist es so gelungen, tragfähige Teams zu bilden.

Personalberatung mit Märchen

Solche Erkenntnisse sind übertragbar. Ein anderes Unternehmen, das ich begleite, hat sich als Dornröschen entpuppt. In den Mitarbeiter-Interviews hatte sich gezeigt, wir haben auffällig viele Schläfer, die ganz schnell sehr verletzt reagieren und gegenüber der Führung gerne in Ver- und Berechnung argumentieren.

Also alle typischen Züge, die so ein Dornröschen hat, habe ich beim Personal wiedergefunden. Nach ein paar freundlichen Abfindungen kamen externe, unbelastete Mitarbeiter mit Anpack und Dynamik dazu, was sich seitdem insgesamt positiv auf die Motivation aller auswirkt.

Abschließend noch mein Lieblingsbeispiel in der Kategorie ‚Wenn ein Unternehmen ein Märchen hat, wirkt sich das auch auf die Personalauswahl aus‘. Das war ein Unternehmen in einer zukunftsträchtigen Technologiebranche mit einem traditionellen Geschäftsgebaren (Handschlag reicht).

Wie sich in der Beratung zeigte, handelte es sich bei dem Märchen um ‚Allerleirau‘. Und genau dieser eine Zug, im Baum sitzen und darauf warten, entdeckt zu werden, der behinderte maximal die Personalgewinnung. Um gute Nachwuchskräfte zu gewinnen, bedarf es einer zeitgemäßen Website. Die Vorstellung hier war jedoch, die Richtigen werden uns schon entdecken…

Anhang – Entwicklungs- und Verkehrungswerke

Es gibt so ein Entwicklungswerk, wenn es sich so frei entfaltet. Aneignung Ausrüstung. Einwirkung. Anordnung. Ausbreitung, Umbildung. Wenn früh etwas passiert ist, was sehr unschön und verletzend war, dann soll das nicht nochmal vorkommen. Das führt zu einer bestimmten Reaktion, die das verhindern soll. Damit engen sich die Möglichkeiten ein auf ein Gestaltungsprinzip. Es gibt so noch das Bild, wie ich es gerne hätte und das Gegenbild, was bloß nicht passieren soll. Keine Eskalation war es bei der Gänsemagd, alles innig und friedlich. Es findet keine Entwicklung mehr statt. Die Entwicklung wird nur noch versprochen, liegt immer in der Zukunft. Und die Umbildung unterbleibt auch, es kommt zur Verwandlungsdemonstration. Männerwechsel, Jobwechsel, Wohnortwechsel, Klamottenwechsel. Also an einer Stelle ganz viel Aktion, aber das große Ganze baut sich nicht um. Das bedeutet, da wird an etwas Verkehrtem festgehalten.

Das versuchen wir anhand von einer konkreten Situation aufzuspüren, die als besonders ungerecht oder verletzend erinnert wird. Welches Wenn-dann ausgebildet wurde, das kann man ja aktuell gut beobachten. Aber woher es kommt und welchen Sinn es machte, das gilt es zu verstehen.

Denn davon soll sich ja das Anders-Machen abgrenzen und unterscheiden.

Häufig gelingt das besser als gedacht, das macht Mut und Lust auf mehr.

Meine Klienten sind da durchaus tatkräftig und ich bin oft ganz beeindruckt, wie sie losziehen und was sie so in Bewegung setzen.

Für Interessierte finden sich hier zum Nachlesen weitere Fangfragen, Fallbeispiele und zugeordnete Märchen:

Mach es wie die Gänsemagd: Mehr Erfolg im Job mit Märchen

ISBN: 9781717938589 Bestellmöglichkeit

Mach es wie das Meerhäschen: Verwandle Dich für Dein Glück 

ISBN: 9381692250461 Bestellmöglichkeit

Fragen zum Märchen

,,Gibt es bei der ‚Gänsemagd‘ auch schöne Dinge am unten sein?‘‘

Weder das oben-sein ist ein Problem noch das Unten-sein, sondern dass man das nicht verfügbar hat. Das Zauberwort bei uns ist ja verfügbar. Also das, was die da so betreiben ich will nicht sagen, das passiert ihnen, aber sie haben es nicht in

der Hand. Und alles, was wir machen, ist, dass Sie drei Sekunden Zeit bekommen, um zu überlegen, will ich das jetzt so machen oder nicht?

Das ‚Schöne am Unten‘, hat die Unternehmerin für sich herausgefunden, ist das Bügeln. Sie hat eine neue Putzfrau gefunden, die es jetzt so macht wie sie es sich vorstellt. Doch dann hat sie festgestellt, da gibt es etwas, was sie gerne selber macht, weil sie dabei wunderbar entspannen kann.

,,Die Rolle des Königs, der sie erkennt?‘‘ Es geht nicht um Personen oder Rollen, es geht in dem Leben um Verhältnisse wie im Märchen. Man ist nicht nur die eine Figur. Insofern steht der König für einen förderlichen Einfluss und insgesamt geht es um Oben und Unten, das unvermittelt springt.

 

Generelle Fragen

,,Wie schnell etwas platzieren, systemisch z.B. im ersten Termin den Anker platzieren?“

Unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung geht es im ersten Termin darum festzustellen, ob man ein gemeinsames Werk einrichten kann.

„Kolleg:innen im Coaching?“

Das unterscheidet sich nicht wirklich von anderen Klient:innen, wenn sich die (angehenden) Kolleg:innen darauf einlassen können. Ich habe Kolleg:innen sowohl mit methodischem Coaching für morphologische Marktforschung als auch bei klassischen beruflichen Fragestellungen wie Bewerbung etc. begleitet.

„Erste Sitzung für die Ausbildung“

Nicht so viel Nachdenken, das beobachte ich gerade bei Jüngeren, die versuchen, alles perfekt zu machen. Genau das geht eben nicht, es geht vielmehr darum herauszufinden, ob es für beide Seiten passt.

Trick?

Gerade bei der ‚Gänsemagd‘ wird etwas deutlich, was für selbständige Klienten generell gilt. Das sind tatkräftige Macher:innen, die sind ihr Unternehmen und empfinden es als sehr störend, wenn sich da etwas widersetzt und nicht funktioniert. Mein Einstieg gelingt darüber, dass es mit mir erstmal besser funktioniert. Dann kann ich vorsichtig mal fragen, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt…

Geschwindigkeit?

Das geht einerseits schnell, weil ich Talent fürs Typisieren mitbringe und schnelle, sehr bewegliche Klienten vor allem aus dem Medienbereich habe. Die leben sehr in Bildern. Es geht andererseits aber auch typisch langsam, wenn man an die 10 Jahre Begleitung der ‚Gänsemagd‘ denkt.

Durchschnittliche Anzahl von Terminen?

Unternehmen bewilligen je nach Position der Klient:innen 5 oder 10 Stunden-Kontingente. Bei den Selbstzahlern mache ich keine Vorgabe. Ich arbeite in jedem Termin so, als wäre das unser letztes Treffen. Deshalb arbeite ich auch immer darauf hin, dass Klient:innen was Konkretes zur Umsetzung mitnehmen können. Manche brauchen drei Termine, um sich beruflich neu zu orientieren. Andere begleite ich deutlich länger, wie z.B. den ‚Gänsemagd-Fall‘. In den 10 Jahren haben wir sehr unterschiedliche Fragestellungen zu ihrem Unternehmen bearbeitet hat wie z.B. die Personalauswahl.

„Leiden und Nicht-leiden-Können?“

Das habe ich mehr im Kopf. Die Coaching-Szene an sich hält es für sehr wichtig, dass man im ersten Termin Ziele vereinbart. Ich kann im ersten Termin keine Ziele vereinbaren. Ich weiß da noch gar nicht, worum es wirklich geht, weil das, was mir als Anliegen genannt wird, das ist in der Regel das, was sie gut leiden können. Das, wo es wirklich drum geht, das können sie eben nicht berichten, weil sie das nicht leiden können.

*Redigierte Fassung eines Vortrags im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Arbeit mit Märchen in unterschiedlichen beruflichen Kontexten“ der ‚Wilhelm Salber Gesellschaft‘ (WSG) am 27. Februar 2023

 

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Autor:in

Petra Jagow, Jahrgang 1963, hat angeregt durch die Bücher von Sigmund Freud Psychologie in Köln studiert und sich auf Wirtschaftspsychologie spezialisiert. Seit 25 Jahren setzt sie ihr Wissen in der Arbeitswelt ein und berät Einzelpersonen, Teams und Unternehmen. Ihr Spektrum von COACHing & Branding reicht von typischen beruflichen Herausforderungen bis zur bestmöglichen Präsentation von Person, Angebot und Marke. Methodisch greift sie dafür auf Grimms Märchen zurück, die anschaulich bestimmte Themen darstellen. Die Märchenbilder und Qualitäten zeigen Entwicklungsmöglichkeiten und neue Perspektiven auf. Ihre Kunden schätzen diesen ‚märchenhaften‘ Ansatz. Erkenntnisse lassen sich so gut nachvollziehen und für das eigene Leben leichter umsetzen.

Kontakt: mail@petra-jagow.de

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